Betrugsvorwürfe

80 Millionen Euro: Barmer soll Diagnosen manipuliert haben

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Berlin -

Der Barmer ist derzeit mit schweren Betrugsvorwürfen konfrontiert: Die Kasse soll jahrelang Arztdiagnosen gefälscht haben, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt deshalb gegen die zweitgrößte Krankenkasse, der nun Rückzahlungen von 80 Millionen Euro drohen. Auch mehrere Kassenärztliche Vereinigungen (KV) sollen in die Affäre verwickelt sein. Die Barmer weist die Vorwürfe zurück.

Bereits seit mehreren Monaten ermitteln Berliner Staatsanwälte einem Bericht des Wirtschaftsmagazins „Business Insider“ zufolge wegen Abrechnungsbetrugs gegen mehrere Verantwortliche der Barmer. Auch das Bundesamt für Soziale Sicherung, Aufsichtsbehörde über die Barmer, hat sich demnach bereits in den Fall eingeschaltet: Die Behörde fordere allein für das Jahr 2013 die Summe von 30 Millionen Euro von der Kasse. Der entsprechende Bescheid sei ihr bereits vor einigen Wochen zugestellt worden.

Bei 30 Millionen Euro solle es dabei aber nicht bleiben. In den nächsten Wochen werde ein weiteres Schreiben mit zusätzlichen Forderungen über 50 Millionen Euro bei der Barmer erwartet – für das Abrechnungsjahr 2014. Auf Anfrage des Magazins bestätigte die Aufsichtsbehörde die Forderung für das Abrechnungsjahr 2013. „Für das Jahr 2014 wird der Korrekturbetrag noch ermittelt“, wird ein Sprecher zitiert. Die Barmer wehre sich demnach gegen die Forderungen und habe Klage gegen den Bescheid eingereicht.

Dem Fachdienst „Versicherungsbote“ zufolge soll die Barmer Krankheitsbefunde nachträglich derart klassifiziert haben, dass sie sie als chronische Krankheiten abrechnen konnte. Dadurch steigt die Summe, die eine Kasse aus dem Gesundheitsfonds erhält. Nach bisherigen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft soll die Barmer dazu bundesweit mit zehn KVen zusammengearbeitet haben, um Diagnosen nachträglich zu ändern. In mindestens sieben Fällen soll die Kasse dabei Geld an die KVen überwiesen haben. In Berlin soll es innerhalb eines Jahres 250.000 Euro gewesen sein.

Die Barmer weist die Vorwürfe zurück. „Wir haben nach wie vor keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten auf Seiten der Barmer“, so ein Sprecher. Bei der damaligen Zusammenarbeit mit der zuständigen KV sei es darum gegangen, offensichtlichen Auffälligkeiten bei der vertragsärztlichen Abrechnung mit den Ärzten über die KV nachzugehen, beispielsweise wenn ein Arzt einen Diabetes-Patienten plötzlich nicht mehr als solchen dokumentiert, obwohl Diabetes unheilbar ist. Medizinische Dokumentationsfehler seien also datenschutzkonform geklärt und so gewährleistet worden, dass Beitragsgelder wirtschaftlich und ordnungsgemäß eingesetzt werden. „Wir sehen uns auch gegenüber unseren Versicherten in der Pflicht, nur mit korrekten Daten zu arbeiten“, so die Barmer. Bei dem Korrekturbescheid für das Jahr 2013 gehe es darum, „dass von uns verlangt wurde, zu Abrechnungszwecken offensichtlich unrichtige Daten zu melden. Wir sind der Überzeugung, dass nur richtige Daten gemeldet werden dürfen. Wir haben den Korrekturbescheid zum Anlass genommen, diese offene Rechtsfrage einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.“

Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre die Barmer nicht die erste Krankenkasse, die sich unlauterer Mittel bedient, um mehr Geld vom Staat zu erhalten und sich im Wettbewerb der Kassen einen Vorteil zu verschaffen. Insbesondere der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) ist oft im Visier findiger Kassenmanager. Der Morbi-RSA soll den Kassen einen Ausgleich für vermehrte Ausgaben schaffen, wenn sie beispielsweise viele Chroniker oder Patienten mit besonders „teuren“ Krankheiten haben – ihnen droht ansonsten eine finanzielle Unterdeckung. Seit 2009 gibt es deshalb pauschale Zahlungen für 80 Diagnosen und einen Krankheiten-Katalog für 192 hierarchisierte Morbiditätsgruppen (HMG) als Grundlage für Zuweisungen.

In der Vergangenheit haben Kassen regelmäßig versucht, dieses System mit kleinen und großen Betrügereien für sich auszunutzen. Das Wissenschaftliche Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung Leipzig (WIG2) hatte bereits 2017 in einem Sondergutachten für das Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor einem „Kodierwettbewerb“ gewarnt. Kassen würden sich an Ärzte wenden und ihnen Vergütungen bieten, wenn sie systematisch die „richtigen“ Diagnosen verbuchen würden. Vergangenes Jahr hatte die Techniker Krankenkasse (TK) ebenfalls beim WIG2 eine Studie in Auftrag gegeben, die das Ausmaß dieser Betrügereien beziffern sollte. Demnach sind 10.500 Ärzte in Deutschland von sogenannter illegaler „Kodierberatung“ betroffen. Bei bundesweit 25.000 Ärzten könnten Manipulationen zulasten des Gesundheitssystems angenommen werden.

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