463 Millionen Euro: Teva muss für Copaxone zahlen Patrick Hollstein, 31.10.2024 13:43 Uhr
Der Generikakonzern Teva soll 462,6 Millionen Euro Strafe zahlen, weil im Zusammenhang mit seinem MS-Präparat Copaxone (Glatirameracetat) das Patentsystem missbraucht und die Einführung von Generika verzögert haben soll. Die EU-Kommission verhängte eine entsprechende Geldbuße.
Teva habe in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien und Tschechien seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, um Copaxone zur Behandlung von Multipler Sklerose (MS) länger vor Wettbewerb zu schützen. Der Konzern habe den Patentschutz künstlich verlängert und systematisch irreführende Informationen über ein Konkurrenzprodukt verbreitet, um dessen Markteintritt und Marktakzeptanz zu behindern, so die EU-Kommission.
Der Wirkstoff war bis zum Jahr 2015 durch ein Grundpatent geschützt, danach verlängerte der Konzern laut Kommission den Patentschutz künstlich, indem er die Vorschriften und Verfahren für Teilpatente des Europäischen Patentamts (EPA) missbräuchlich ausnutzte. So habe Teva gestaffelt mehrere Teilpatente angemeldet und schuf so ein Netz von Copaxone-Sekundärpatenten geschaffen, dessen Schwerpunkt auf dem Herstellungsprozess und der Dosierung von Glatirameracetat lag.
Rechtsunsicherheit als Taktik
Wettbewerber griffen diese Patente an, um den Weg in den Markt freizumachen. Während das EPA die Anmeldungen noch prüfte, begann Teva damit, einstweilige Verfügungen gegen seine Wettbewerber zu erwirken. Als ein Widerruf der Patente abzusehen war, zog der Konzern die Anmeldungen laut Behörde aus strategischen Gründen zurück, um ein förmliches Nichtigkeitsurteil zu vermeiden, das einen Präzedenzfall geschaffen hätte, durch den ein Dominoeffekt für andere Teilpatente drohte.
Aufgrund dieser Vorgehensweise von Teva mussten Wettbewerber laut Kommission immer wieder neue langwierige Verfahren anstrengen, um gegen Teilpatentanträge von Teva Einspruch einzulegen. Teva habe durch diese Taktik die Rechtsunsicherheit in Bezug auf seine Patente künstlich verlängern und möglicherweise den Markteintritt von konkurrierenden Glatirameracetat-Arzneimitteln behindern können. Alle Teilpatente von Teva seien inzwischen für nichtig erklärt worden.
Systematische Diskreditierungskampagne
Zudem habe Teva irreführende Informationen über die Sicherheit, Wirksamkeit und therapeutische Äquivalenz eines Konkurrenzpräparats verbreitet, obwohl die zuständigen Gesundheitsbehörden das konkurrierende Arzneimittel zugelassen und seine Sicherheit, Wirksamkeit und therapeutische Äquivalenz mit Copaxone bestätigt hatten. Die Diskreditierungskampagne richtete sich laut Kommisison an wichtige Interessenträger wie Ärzte und nationale Stellen, die über die Preisfestsetzung und Erstattung von Arzneimitteln entscheiden. Sie diente demnach dem Ziel, den Markteintritt des konkurrierenden Produkts in mehreren Mitgliedstaaten zu verzögern oder zu verhindern.
Daher hat die Kommission mit ihrem Beschluss festgestellt, dass die missbräuchlichen Verhaltensweisen von Teva sich gegenseitig ergänzten und zusammen einen einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) darstellten, der den Missbrauch einer beherrschenden Stellung verbietet. Dies sei das erste Mal, dass man wegen dieser beiden Arten von Verhaltensweisen eine Geldbuße verhänge; zuvor hatte die Kommission in einem anderen Fall Verpflichtungszusagen von Vifor akzeptiert, mit der Bedenken hinsichtlich einer möglichen Diskreditierungskampagne ausgeräumt worden seien.
Teva könnte mit diesem Verhalten, das sich je nach Mitgliedstaat über einen Zeitraum von vier bis neun Jahren erstreckte, eine Senkung der Listenpreise verhindert haben, was in den Haushalten für das öffentlichen Gesundheitswesen negativ zu Buche geschlagen hätte, so die Brüsseler Behörde. Diese Vermutung werde dadurch bestätigt, dass die Listenpreise nach dem Markteintritt des Konkurrenzprodukts um bis zu 80 Prozent sanken, was zu erheblichen Einsparungen für die Gesundheitssysteme führte.
Teva drohen Klagen
Teva drohen nun Schadenersatzklagen, denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sind abschließende Beschlüsse der Kommission in Verfahren vor nationalen Gerichten ein verbindlicher Nachweis dafür, dass das Verhalten stattgefunden hat und rechtswidrig war. Die von der Kommission verhängte Geldbuße wird dabei nicht mindernd angerechnet.
Der Konzern sprach von einer falschen Entscheidung und kündigte an, seine Position im Berufungsverfahren energisch zu verteidigen. Man sei darauf finanziell gut vorbereitet. Teva führe sein Geschäft rechtmäßig und ethisch und sei ein starker Partner für Europa, seine Patienten, seine Wirtschaft und seine Gesundheitssysteme.
Dagegen zeigt der Beschluss laut Margrethe Vestager, Exekutiv-Vizepräsidentin, zuständig für Wettbewerbspolitik, dass die Kommission das Wettbewerbsrecht im Arzneimittelsektor entschlossen durchsetze. „Mit diesem Beschluss leistet die Kommission einen Beitrag zur Bezahlbarkeit von Arzneimitteln, zum Erhalt von Behandlungsoptionen und zur Förderung von Innovationen. Dies ist sowohl für die Patienten in der EU wie auch die nationalen Gesundheitssysteme von Vorteil.“ Das Verfahren war 2021 eingeleitet worden, zwei Jahre zuvor hatte es Durchsuchungen gegeben.