In der Schweiz scheuen viele Apotheken das finanzielle Risiko der Abgabe besonders hochpreisiger Arzneimittel. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universitäten Lausanne und Genf. Knapp ein Viertel der darin betrachteten Apotheken hatten sich mindestens einmal geweigert, Patienten das Hepatitis-Medikament Harvoni abzugeben.
Gileads Hepatitis-Medikament Harvoni (Ledipasvir/Sofosbuvir) gehört zum teuersten, was man in einer Apotheke abgeben kann. Eine Packung mit 28 Tabletten kostet so viel wie ein Mittelklassewagen: 15.000 Euro. In der Schweiz ist das nicht anders, auch wenn der Preis mit rund 14.000 Schweizer Franken (12.400 Euro) etwas niedriger ist. Für eine Standardtherapie werden zwei bis drei Packungen benötigt. Was in der Schweiz ebenfalls nicht anders ist: Viele, vor allem kleinere Apotheken arbeiten unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Dem Schweizer Apothekerverband Pharmasuisse zufolge sind es rund 20 Prozent der Betriebe.
Einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung der Universitäten Genf und Lausanne zufolge hat das konkrete Auswirkungen insbesondere für Patienten, die extrem hochpreisige Präparate verordnet bekommen. Die Autoren der Studie „Improving patient access to hepatitis C antiviral medicines in Switzerland: Unterstanding the financial risks for community pharmacicts“ hatten 60 Apotheken im Schweizer Kanton Vaud sowie 68 Hepatitis-C-Patienten unter die Lupe genommen, um zu eruieren, welchen Schwierigkeiten Patienten und Apotheken bei der Versorgung mit antiviralen Hepatitis-Medikamenten begegnen.
114 Apotheken befragten die Studienautoren, 60 von ihnen haben schon Hepatitis-Patienten bedient. 14 dieser 60 Apotheken gaben an, bereits mindestens einmal einem Patienten die Abgabe verwehrt zu haben. Wiederum zehn von diesen 14 gaben an, den Patienten keine weiteren Informationen gegeben zu haben, wo sie stattdessen Harvoni beziehen könnten. „Diese Patienten mussten dann meist auf sich allein gestellt eine Lösung finden“, schreiben die Autoren.
Von vielen Apothekern wird die Abgabe von Harvoni demnach als so riskant angesehen, dass sie sich ihr verweigern. Denn zwar erstattet die Schweizer Grundversorgung Harvoni seit 2017, die Erstattung kann aber auf sich warten lassen: Zwar haben Apotheken in der Schweiz formal das Recht, innerhalb eines Monats rückvergütet zu werden, de facto dauere die Erstattung aber durchschnittlich mindestens drei Monate. Außerdem entspreche die Vergütung der Beratungsleistungen oft nicht den tatsächlich notwendigen Leistungen. Vor allem für kleine Apotheken sei das Risiko bei der Abgabe deshalb sehr groß.
Santésuisse, der Verband der Schweizer Krankenversicherer, zeigt sich überrascht über die Ergebnisse und verwies darauf, dass Verzögerungen bei der Erstattung meist durch fehlerhafte Rechnungen der Apotheken zustande kämen. „Wir haben das Gefühl, dass einige Kassen bewusst auf Zeit spielen“, wendet hingegen Philip Bruggmann ein. Der Präsident des Patientenvereins „Hepatitis Schweiz“ sieht die Ergebnisse aus dem Kanton Vaud als repräsentativ für das ganze Land an. „Wir kennen Patienten aus der ganzen Schweiz, die abgewiesen wurden. Bei einem Betroffenen warten wir seit Juli auf das Geld der Kasse“, zitiert ihn die Schweizer „Sonntagszeitung“.
Es sei zwar traurig, wenn Apotheken kranke Patienten „abwimmeln“, so Bruggmann. Die Schuld für solche Lücken in der Versorgung sieht er aber eher bei den Kassen und den Herstellern, als bei den Apotheken. „Aber ich kann sie verstehen, wenn sie sonst selbst in ihrer Existenz bedroht sind.“ Die Studienautoren sehen eher die Politik in der Verantwortung: „Angesichts der wachsenden Zahl hochpreisiger Medikamente sollten die Gesundheitssysteme eine klare Strategie haben, die Abgabe in öffentlichen Apotheken zu fördern, indem sie eine lückenlose und kooperative Versorgung der Patienten sicherstellen“, schreiben sie. Auch ein „Netz aus Apotheken, die auf die Hepatitis-Versorgung spezialisiert sind“, könne dabei helfen.
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