Wien

Der Schamane aus der Apotheke

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Berlin -

Die Saint Charles Apotheke in Wien ist weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt. Ein Grund sind die apothekeneigenen Heilpflanzenprodukte. Inhaber Alexander Ehrmann hat Traditionelle Europäische Medizin (TEM) zum Schwerpunkt gemacht. Sein Wissen über Arzneipflanzen hat er mit brasilianischen Schamanen geteilt – und wurde selbst als Medizinmann bezeichnet.

Ehrmann ist Apotheker in sechster Generation. Seine Eltern führten eine Apotheke bei Salzburg. Schon als Kind hat er dort geholfen, Toniken anzusetzen. „Ich habe die Pharmazie mit der Muttermilch aufgesogen“, sagt er. Besonders gefalle ihm an der Arbeit als Apotheker der enge Kontakt zu Menschen.

Statt die elterliche Apotheke zu übernehmen, wollte er „etwas Eigenes“ machen. Wegen der österreichischen Niederlassungsbeschränkung suchte er nach einer Apotheke, die zum Verkauf stand. 2002 wurde er im Wiener Stadtteil Mariahilf fündig: Er übernahm gemeinsam mit dem Betriebswirt Martin Rohla die 1886 gegründete „Apotheke zur heiligen Dreifaltigkeit“. Der traditionelle Name war ihm „etwas zu heilig“ – er benannte die Apotheke in Saint Charles um.

Nach der Übernahme gestaltete er die Apotheke bis 2006 komplett um. „Ich wollte ein Geschäft, in dem sich Kunden wohlfühlen“, erklärt Ehrmann. Deswegen legte er viel Wert auf die Einrichtung. Historische Apothekenmöbel gehören zur Ausstattung, dazu moderne Möbel in weiß oder Stahl- und Glaskonstruktionen. „Der Boden ist aus Holz, auch wenn das manche Kollegen unpraktisch finden“, sagt Ehrmann. Für ihn aber ist die Atmosphäre entscheidend. Deshalb spiele er auch Hintergrundmusik.

Die Saint Charles Apotheke hat sich auf TEM spezialisiert. „Wir haben schließlich gegen fast jedes Übel ein Kraut“, sagt Ehrmann. Er vertritt zudem einen „ganzheitlichen Blick auf Gesundheit“. Nicht nur Heilmittel gehörten dazu, sondern auch die Ernährung und Lebensweise. „Mir geht es einfach besser, wenn ich Bio-Lebensmittel esse“, sagt er.

Daher betreibt Ehrmann unter der Dachmarke Saint Charles nicht nur die Apotheke, sondern auch einen Shop für Naturkosmetik, ein Kosmetikstudio, ein Entspannungszentrum, ein Restaurant sowie einen Bauernhof. Trotzdem stehe die Apotheke im Mittelpunkt der Marke: „Unser pharmazeutischer Hintergrund ist die Grundlage für alles“, sagt Ehrmann. Das Fachwissen sei ein Alleinstellungsmerkmal, dass die Apotheke etwa von einer Drogerie unterscheide. „Bei dm werden sie nicht zu Ihrer Medikation oder zur Ernährung beraten. Das ist unsere Kompetenz.“

Ehrmann hat eigene Nahrungsergänzungsmittel, Tees und eine Naturkosmetik-Linie entwickelt, die er von externen Herstellern produzieren lässt. „Unsere eigenen Räumlichkeiten sind dafür zu klein“, erklärt er. In diesem Jahr hat Ehrmann einen Online-Shop eröffnet, über den er seine Produkte auch vertreibt. Medikamente wolle er über den Shop nicht verkaufen – die seien in der Apotheke vor Ort besser aufgehoben.

Im vergangenen Jahr reiste er zusammen mit einem Künstler in den brasilianischen Dschungel. Er traf dort Schamanen, die ihn in die Geheimnisse ihrer Naturheilmittel einweihten. Dazu gehörte beispielsweise Ayahuasca, ein halluzinogener Pflanzensud aus der Traumliane, der bei religiösen Zeremonien getrunken wird. Außerdem habe ihn fasziniert, dass die Medizinmänner maßgeschneiderte Therapien zusammenstellten – wie patientenindividuelle Rezepturen. Doch er wolle die Medizin der Südamerikaner nicht nach Europa holen.

Als die Medizinmänner anschließend für die Kunstausstellung nach Wien kamen, wies er sie wiederum in einem Labor in die europäische Naturmedizin ein. Er war stolz darauf, ihnen zeigen zu können, wie er arbeite. „Sie dachten, ich bin ein weißer Schamane“, sagt Ehrmann.

Das Team der Saint Charles Apotheke umfasst 18 Mitarbeiter, darunter fünf Apotheker. Etwa 300 Kunden werden pro Tag beraten. Über die Wiener Apotheke habe sogar die New York Times berichtet; das ziehe Touristen an, sagt Ehrmann. „In letzter Zeit kommen viele Japanerinnen zu uns.“ Dennoch habe die Apotheke mehrheitlich Stammkunden, wobei manche extra aus anderen Wiener Stadtteilen kämen.

Ehrmann bietet seine Saint Charles Apotheke als Franchise-Konzept an. Bislang hat die Apotheke aus Wien nur einen Partner: Im Mai 2009 gründete Sabine Zeeck die Berliner Saint Charles Apotheke im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Die Einrichtung ist dem Wiener Vorbild nachempfunden. Außerdem werden die Saint Charles Produkte verkauft. Die Apotheke hatte Startschwierigkeiten: „In Deutschland war die Marke ja nicht bekannt“, sagt Zeeck.

Inzwischen habe man sich aber in den Bereichen Mikronährstoffmedizin, Darmgesundheit und Bioidentische Hormone über Berlin hinaus einen Namen gemacht. Zehn Mitarbeiter, davon vier Approbierte, beraten die Kunden. „Außerdem bieten wir Vorträge und Workshops zu Gesundheitsthemen in unseren Räumen an, die sehr gefragt sind“, sagt Zeeck.

Noch 2009 hatte Ehrmann bis zu 200 Apotheken nach dem Konzept von Saint Charles geplant. Er hatte fast 50 Anfragen aus Deutschland. Doch dann sei die Wirtschaftskrise gekommen, womit sich die Pläne größtenteils zerschlagen hätten. Zudem prüfe er die Interessenten sehr genau: „Ich will nicht das schnelle Geld machen. Man muss unsere Philosophie leben, davon begeistert sein.“ Zeeck habe genau diese Einstellung. Derzeit liefen Gespräche mit Interessenten aus München, Zürich und Los Angeles.

Dem Unternehmer ist die Arbeit in der Offizin weiterhin wichtig. Etwa 30 Stunden pro Woche steht er hinter dem HV-Tisch. „Das macht mir viel Spaß“, sagt Ehrmann. Er freut sich, wenn ihm Kunden positive Rückmeldungen geben. „Besonders wenn man die Produkte selbst entwickelt hat und sie helfen, ist das ein super Gefühl.“

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