Für die Sanierungsarbeiten an dem Zinshaus, dessen Eigentümerin sie ist, ließ die Wiener Apothekerin Karin Simonitsch das 700 Quadratmeter große Baustellennetz von einem Designer-Duo gestalten. Die Aktion erwies sich nicht nur marketingtechnisch als Volltreffer. Nach Ende der Bauarbeiten wurde das bunte Netz von Teilnehmerinnen des Integrationsprojekts „Nachbarinnen“ zu Tragetaschen verarbeitet. Der Erlös aus dem Verkauf kommt dem Verein zugute.
Im vergangenen Jahr hat Simonitsch beschlossen, das Dach den Hauses, in dem sich auch ihre Marien-Apotheke befindet, ausbauen zu lassen. Doch so einfach wie gedacht war es nicht. Das Haus ist von 1902 und hat eine sogenannte gegliederte Fassade mit vielen Nischen und Stuck-Elementen. Solche Fassaden stellen eine besondere Herausforderung dar. Und so ist bei der Planung auch einiges schief gelaufen. Statt wie geplant nur die obere Etage einzurüsten, musste am Ende um die gesamte Fassade ein Baugerüst aufgebaut werden. „Zuerst war ich echt wütend“, so die Apothekerin heute. „Aber dann ging mir ein Licht auf: Eine so riesige Werbefläche bekomme ich nie wieder.“
Simonitsch rief das Designer-Duo von Walking Chair Design Studio in Wien an, mit dem sie schon seit rund zehn Jahren zusammenarbeitet, und erzählte von ihrer Idee. Die Designer sollten, so die Vorstellung der Apothekerin, ein feinmaschiges und buntes Baunetz im Design der Apotheke entwerfen.
Karl Emilio Pircher und Fidel Peugeot haben die Marien-Apotheke bereits pünktlich zum 105-jährigen Jubiliäum zu einem optischen Hingucker gemacht. Die sogenannten Sister-Blister-Leuchten, die aus leeren Pillen-Blistern hergestellt werden, sind inzwischen zum Markenzeichen der Apotheke geworden. Jede ist ein Unikat und wird in liebevoller Handarbeit hergestellt. Die Serie umfasst mittlerweile Standleuchten, Hängeleuchten, Deckenleuchten, Wandleuchten und ganze Lichtinstallationen, wie die in der Marien-Apotheke.
Etwa ein Jahr lang deckte das rund 700 Quadratmeter große Netz die Baustelle am Haus der Marien-Apotheke ab. Und die Werbewirkung, die Simonitsch sich erhoffte, trat auch ein. „Mehrere Zeitungen kamen auf uns zu und wollten über die Aktion berichten“, erzählt die Apothekerin. „Auch sonst war das Haus mit dem bunten Netz einfach nicht zu übersehen.“
Doch Simonitsch wäre wohl nicht sie selbst, wenn es ihr einzig und allein um die Eigenwerbung für ihre Apotheke gehen würde. Denn die sozial engagierte Apothekerin war eine der ersten, die in ihrer Apotheke HIV-positive Kunden herzlich willkommen hieß. Bereits 1994 beschloss sie, Medikamente für sie bereitzustellen. Inzwischen nimmt sich Simonitsch auch gehörloser Menschen besonders an. Seit Jahren beschäftigt sie mehrere gehörlose Mitarbeiter und setzt sich für eine größere Akzeptanz von Menschen mit Behinderung ein.
Auch bei der fantasievollen Baustellenabdeckung hat Simonitsch von Anfang an eine gemeinnützige Aktion im Sinn gehabt. Aus dem Netz sollten, so der Plan der Apothekerin, nach dem Ende der Bauarbeiten Taschen entstehen. Genäht werden sollten sie von den Näherinnen der Nähwerkstatt des Vereins Nachbarinnen.
In dem Projekt sollen Migrantinnen und Flüchtlinge mithilfe von Frauen, die dieselbe Sprache sprechen, aus der Isolation geholt werden. Sie agieren als Begleiterinnen, bieten Unterstützung und schaffen Verbindungen zu integrationsfördernden Maßnahmen. Einige Frauen wurden im Rahmen des Projektes in einer Nähwerkstatt angestellt, wo sie zu Näherinnen ausgebildet werden. Die Nähwerkstatt soll in Österreich eines der wenigen Arbeitsprojekte für Migrantinnen sein.
Und so kam es auch. In der Nähwerkstatt wurde das Baunetz zugeschnitten, von Hand gewaschen, die Teile sorgfältig ausgewählt und schließlich zu 200 bunten Shopper-Taschen sowie zahlreichen kleinen Kosmetikbeuteln und Rucksäcken vernäht. Jedes Stück ist ein absolutes Unikat. Die Taschen können in der Marien-Apotheke für 29 Euro erworben werden. „Das ist zugegeben nicht günstig“, sagt Simonitsch. „Aber erstens sind die Taschen einzigartig und äußerst haltbar und zweitens unterstützt man damit die tolle Arbeit des Vereins Nachbarinnen.“
Das sehen auch die Kunden der Apotheke offenbar ähnlich. „Wir haben bereits einige Shopper und Kosmetiktascherln verkauft“, sagt sie. Und es soll Nachschub geben. Denn vom dem riesigen Baunetz seien noch einige Quadratmeter übrig geblieben. Daraus sollen demnächst bunte Blumenübertöpfe genäht werden. In die Wohnung, die nach dem Dachausbau entstand, zieht die Apothekerin schon bald persönlich ein.
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