Für die österreichischen Apotheken ist die nächsten Tage Zittern angesagt: Am Dienstag hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit der Prüfung des Apothekenvorbehalts von OTC-Arzneimitteln begonnen. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines seit Jahren ausgetragenen Streits: Angestoßen hat das Verfahren nämlich die Drogeriekette dm, die sich durch das Arzneimittelgesetz (AMG) direkt benachteiligt sieht. Die Kette zeigt sich dabei zuversichtlicher als die Apothekerschaft – sie kann sich auf eine Studie der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) berufen.
Am Dienstag hat der österreichische VfGH seine jüngste Session gestartet und wird sich in den kommenden drei Wochen mit 350 Anträgen und allerlei Themen befassen, die von hochpolitisch bis kurios reichen – von der Ibiza-Affäre um den Rechtspopulisten Hans-Christian Strache bis zur Frage, ob ein Aktivist im Kuhkostüm gegen das Burka-Verbot verstoßen hat. Die meisten Apotheker:innen im Land dürfte das aber nur am Rande interessieren, denn der VfGH soll auch über einen Antrag entscheiden, der viele von ihnen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohen könnte: Denn dm hat einen Individualantrag auf Gesetzes- und Verordnungsprüfung gestellt, weil die Drogeriekette durch die Apothekenbindung von OTC-Arzneimitteln einen Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung sieht.
Das Unternehmen wendet sich damit gegen Vorschriften, denen zufolge auch nicht rezeptpflichtige Arzneimittel nur von Apotheken bezogen sowie im Kleinverkauf oder durch Fernabsatz abgegeben werden dürfen, erklärt der VfGH. Gleichzeitigt will dm das absolute Verbot der Abgabe von Arzneimitteln in Selbstbedienung zu Fall bringen. Die Argumentation des Unternehmens: Den öffentlichen Interessen des Patientenschutzes, der Arzneimittelsicherheit, der Gesundheit sowie des Konsumentenschutzes könne auch durch Drogisten entsprochen werden. Ein Apothekenvorbehalt sei deshalb unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
„Die rasante Entwicklung von Internet-Apotheken zeigt den Bedarf auf, geprüfte Qualität zu günstigeren Preisen anzubieten und dabei attraktive Alternativen zu den oft dubiosen Online-Anbietern zu schaffen“, erläutert dm-Geschäftsführer Harald Bauer sein „Engagement für eine Modernisierung des Apothekenmonopols im OTC-Bereich“, wie die Kette es nennt. Die Notwendigkeit einer fachkundigen Beratung und die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz öffentlicher Apotheken seien dabei keine überzeugenden Argumente, denn dabei werde außer Acht gelassen, dass eine fachkompetente Beratung auch in Drogerien gewährleistet werden könne. Und das ginge dort anders als beim Online-Versand österreichischer Apotheken durch Gratis-Hotlines. Eine Existenzgefährdung der Vor-Ort-Apotheken würde der Verkauf von OTC-Präparaten ebenso wenig mit sich bringen, da die Apotheken einer BWB-Studie zufolge den Großteil ihrer Umsätze mit Rx-Arzneimitteln machen würden.
Jene Studie aus dem Jahr 2018 hatte bereits bei ihrer Veröffentlichung Stürme der Entrüstung unter Apothekenvertretern hervorgerufen. „Unprofessionell“, „irreführend“, „spielt mit der Gesundheit, im schlimmsten Falle sogar mit dem Leben von Patienten“, waren nur einige der Zuschreibungen von Kammer- und Verbandsfunktionären. Tatsächlich war die BWB damals zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Liberalisierung der Abgabe von OTC-Arzneimitteln zu empfehlen sei, da der gesetzliche Vorbehalt zu einem Monopol der öffentlichen Apotheken in diesem Markt führe. Eine Erweiterung des Sortiments an OTC-Arzneimitteln, die auch von anderen Stellen wie Drogerien abgegeben werden dürfen, würde demnach zu einer besseren Versorgung sowie über den Preiswettbewerb zwischen Apotheken und sonstigen Abgabestellen zu mehr Preistransparenz und sinkenden Preisen führen.
Entsprechend besorgt zeigt sich der Österreichische Apothekerverband. „Sollte die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in diese Richtung gehen, werden wir natürlich alle Hebel in Bewegung setzen, damit bei der entsprechenden gesetzlichen Neuregelung der Fokus auf die Patienten- und Arzneimittelsicherheit gerichtet wird“, erklärt dessen Präsident Jürgen Rehak auf Anfrage. Denn eine Liberalisierung des Arzneimittelmarktes „sollte nicht nur uns Apothekerinnen und Apotheker beschäftigen“.
Vielmehr sei die Abgabe von Medikamenten nämlich aus gutem Grund reguliert: „Sie sind eben kein Haarshampoo oder Waschmittel“, so Rehak. Es seien Expert:innen notwendig, um bei der Abgabe die Neben- und Wechselwirkungen auch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bei eingehender Beratung zu beurteilen. „Geschieht das nicht, setzen wir die Bevölkerung gesundheitlichen Risiken aus“, so Rehak. „Dass die wirtschaftliche Lage der Apotheken dabei massiv in Mitleidenschaft gezogen werden würde, versteht sich von selbst. Und dass das zu Lasten der Versorgung der Bevölkerung geht ebenso, schließlich könnten wir unsere umfassenden Leistungen nicht mehr im bisherigen Umfang aufrechterhalten.“ Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, wisse auch der Verband noch nicht, erklärt ein Sprecher. Auch die Standesvertretung müsse nun die kommenden Tage und Wochen gespannt abwarten.
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