Videotour durch die Geisterapotheke Torsten Bless, 29.07.2017 09:29 Uhr
Beinahe 40 Jahre ruhte eine Apotheke irgendwo in den USA im Dornröschenschlaf. Rezeptpflichtige Medikamente und OTC-Mittel moderten hier vor sich hin. Die jungen Filmemacher von RnK All Day entführen den Zuschauer bei YouTube auf eine Zeitreise.
Das RnK im Namen der Firma steht für Robb und Kristy. Das junge Ehepaar hat sich ein Wohnmobil gekauft, um auf filmische Entdeckungsreisen durch Nordamerika zu gehen, auch Lateinamerika soll irgendwann dran sein. Dafür sammelt das Paar Geld per Crowdfunding.
Spezialisiert haben sich die beiden auf Erkundungstouren durch zum Teil seit Jahrzehnten verlassene Gebäude. Auf ihrem voll gepackten YouTube-Channel kann der Zuschauer mit ihnen Apartmenthäuser, Universitäten oder Schulen, 1960er-Millionärsanwesen oder Motels im 70er-Style besuchen. Gruseln lässt es sich trefflich bei einer Tour durch ein völlig menschenleeres Krankenhaus, das noch ans Stromnetz angeschlossen ist, und beim Besuch eines Autopsiesaals mit angeschlossener Verbrennungsanlage samt zurückgelassenen Knochen.
Zuletzt hat das Paar ein Video über ihren Besuch in einer verwaisten Pharmacy eingestellt. Pharmacies sind in den USA keine Apotheken im engeren Sinn, auch Drogerie-, Schreib- oder Spielwaren lassen sich hier erwerben. Diesmal ist Freund Jason mitgekommen, und die Drei fühlen sich in eine Zeitkapsel versetzt. Das letzte auffindbare Datum, an dem hier nachweislich noch gearbeitet wurde, war Montag, der 8. Mai 1978. „Das ganze Mobiliar sieht aber aus, als käme es aus den 50er Jahren“, meint Robb.
Bei ihrer Expedition durch die verlassenen Räume stößt das Trio auf Bataillonen von Flaschen und Packungen mit längst abgelaufenen Medikamenten, darunter vielen Rx-Präparaten. Das rezeptpflichtige Cinbisal sollte besser nicht mehr gegen Gicht und Rheuma eingesetzt werden. Das weiße Mineralöl wird nie mehr eine Verstopfung beheben. Das Mittel gegen Fußpilz bei Sportlern mag nach so vielen Jahren eher die gegenteilige Wirkung entfalten. Die hier vorrätige Calamine-Lotion gegen Juckreiz und Hautausschlag ist im wahrsten Sinne des Wortes zu Staub verfallen.
Ob die Alt-Eigentümer schon beim Auszug ein fluchtartiges Chaos hinterließen oder schon Plünderer am Werk waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. In all dem Dreck stöbern die Entdecker das eine oder andere Schätzchen auf. Werbeaufsteller aus den 50er-Jahren für Erste-Hilfe-Verbände oder Rasierwasser verbreiten ein nostalgisches Retrofeeling. Auf die 70er-Jahre verweisen das Werbemodel für Kodak-Filme oder das 8-Spur-Kassettengerät. Eine alte Registrierkasse nebst vergessenen Quittungen wird ebenso mit der Kamera für die Ewigkeit festgehalten wie eine rustikale Holztoilette für Kleinkinder.
Ganz so auf Ordnung achteten die Eigentümer zuletzt offensichtlich nicht. Läusevernichtungsmittel steht einträchtig neben Mundwasser und Brennstoff zum Kochen, der Hustensirup findet sich neben den Stützstrümpfen. Dämonisch rot leuchtet dazu das Rattengift.
Wer die Tour „in echt“ nachvollziehen mag, wird wohl selbst auf die Suchexpedition gehen müssen. Wo „ihre“ Pharmacy steht, verraten die Filmemacher nicht.