Der Pharmakonzern Valeant ist in den USA mit Betrugsvorwürfen konfrontiert – und hat gestern an der Börse einen Kurssturz hingelegt. Ein investigatives Analystenteam hatte Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgehen soll, dass der Konzern seine Umsätze über ein Netzwerk an Phantomapotheken aufbläht.
Valeant gilt als einer der aggressivsten Pharmahersteller weltweit. Der Konzern mit offiziellem Sitz im kanadischen Quebec ist in den vergangenen Jahren durch Übernahmen gewachsen, jüngste Neuzugänge waren Bausch + Lomb (2013) sowie Salix und Sprout (2015). Bei Allergan kam Valeant dagegen nicht zum Zuge, der Botox-Hersteller hatte sich gegen die Übernahme gewehrt und zu Actavis geflüchtet.
Ein möglicher Grund: Valeant genießt in der Branche einen schlechten Ruf. Bei seinen Töchtern soll der Konzern härter durchgreifen als so mancher Hedgefonds: Forschungsabteilungen werden komplett geschlossen, Sparprogramme durchgedrückt, Preise für Medikamente massiv erhöht. Mittlerweile beschäftigen sich nicht nur Staatsanwälte, sondern auch der US-Kongress mit den Geschäftspraktiken. Am Montag sah sich Konzernchef J. Michael Person genötigt, seiner bisherigen Strategie abzuschwören. Die Aktie war seit August von umgerechnet 240 auf 150 Euro eingebrochen.
Nur zwei Tage nach dem überraschenden Strategiewechsel kam der Bericht von Citron, der die Aktie abermals auf Talfahrt schickte. Der Börsendienst wirft dem Konzern vor, über ein Netzwerk an Phantomapotheken seine Umsätze künstlich in die Höhe zu treiben. Citron war einer Meldung von Investigativreportern nachgegangen, die kurz zuvor über einen ominösen Rechtsstreit in Kalifornien berichtet hatten: Eine Apotheke hatte den Hersteller verklagt, weil der – angeblich ohne je eine Rechnung gestellt zu haben – Anfang September überraschend 69,9 Millionen US-Dollar gefordert hatte.
Die R&O Pharmacy mit Sitz in einem Gewerbegebiet in Camarillo nördlich von Los Angeles war 2012 gegründet worden und liefert nach eigenen Angaben Spezialrezepturen in 34 Bundesstaaten. Zur Forderung des Pharmakonzerns erklärte das Unternehmen, dass entweder beide Parteien Betrugsopfer geworden seien oder dass Valeant mit Dritten konspiriere, um R&O und andere Parteien zu schädigen. Weil Valeant seit dem ersten Schreiben nicht mehr geantwortet hatte, zog der Herstellbetrieb mit Antrag auf Negativfeststellung vor Gericht.
Statt mit Valeant soll R&O aber mit einer Firma namens Philidor Rx Geschäfte gemacht haben, die nach den Recherchen der Reporter über Treuhänder dem Pharmakonzern zuzuordnen ist. Laut Bericht soll das Unternehmen mit Sitz in Philadelphia exklusiv für Valeant gearbeitet haben: Über das Specialty-Unternehmen soll ein spezielles Patientenprogramm gelaufen sein, bei dem zur Bindung der Patienten über Ärzte Zuzahlungsgutscheine verteilt wurden. Auf diese Weise, so die Vermutung, sei die Abrechnung bei privaten und staatlichen Versicherungsprogrammen trotz Preissteigerungen weiter möglich gewesen.
Am Montag räumte Pearson ein, sich im vergangenen Jahr eine Option für die Übernahme von Philidor gesichert zu haben und deren Ergebnisse bereits im eigenen Geschäftsbericht zu konsolidieren. Bei anderer Gelegenheit soll der Konzernchef erklärt haben, dass 40 Prozent des Umsatzes von Valeant dem Specialty-Bereich zuzuordnen sind, rein rechnerisch also bis zu 4,4 Milliarden Dollar pro Jahr. Nach Firmenangaben sollen bei Philidor täglich bis zu 15.000 Rezepte bearbeitet werden; 900 Mitarbeiter sollen bei der Firma beschäftigt sein.
Vor diesem Hintergrund wäre es zwar immer noch ungewöhnlich, dass Valeant der Apotheke in Kalifornien eine Mahnung schickt. Als Teil des Philidor-Netzwerks wäre aber zumindest eine mittelbare Geschäftsbeziehung nicht auszuschließen.
Citron hat die Spur jedoch weiter verfolgt und Merkwürdiges ans Tageslicht gebracht: Laut Bericht existieren nämlich eine ganze Reihe von Apotheken wie R&O, die unabhängig voneinander allesamt dieselbe Telefonnummer und denselben Ansprechpartner haben. Auch die Internetauftritte seien sich frappierend ähnlich; die Domains seien exakt am selben Tag zugelassen worden. Für die Analysten kommt nur ein Schluss infrage: Valeant hat über Phantomapotheken Lieferungen abgerechnet, um seine Umsätze in die Höhe zu treiben.
Valeant dementierte: Philidor erbringe neben Abrechnungs- auch Logisitikdienstleistungen für die Apotheken im Verbund, vom Call Center bis hin zur IT-Unterstützung. Lieferungen an Philidor oder andere Apotheken würden nicht als Umsatz gebucht, bis das Produkt tatsächlich an den Patienten abgeben werde. Bis dahin würden die Vorräte der Apotheken als eigener Warenbestand gebucht. Die Forderung gegenüber R&O sei nur zustande gekommen, weil die Apotheke Zahlungseingänge seitens der Krankenversicherungen für sich behalten habe.
Die enge Beziehung zu Philidor und den anderen Apotheken sei einer der Wettbewerbsvorteile von Valeant, da ein immer größerer Teil des Pharmageschäfts über den Specialty-Kanal abgewickelt werde, so der Konzern. Die Patienten profitierten durch einen schnelleren Zugang; außerdem entfalle das Risiko, die Erstattung verweigert zu bekommen. Als Hersteller spare man Vertriebskosten. Aktuell seien 5 Prozent des gesamten Warenbestands von Valeant in den USA in diesem Kanal gebunden.
Wie auch immer die Wahrheit aussieht: Der Treffer saß. Der Börsenkurs von Valeant stürzte abermals auf 100 Dollar, das Vertrauen in den ehemaligen Börsenliebling ist schwer beschädigt. Dass Citron seit elf Jahren regelmäßig Unternehmensskandale aufdeckt, um über Leerverkäufe der jeweiligen Aktien selbst Kasse zu machen, spielt in diesem Skandal eine untergeordnete Rolle.
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