Hilfe zur Selbsthilfe

Uganda: Unsere kleine Apothekenfarm

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Berlin -

Mit dem Bus sechs Stunden zum Großhändler fahren, Tabletten immer nur so ausgeben, wie sie gerade gebraucht werden und wenn keine Patienten kommen, schnell die Kühe melken: Im ugandischen Dorf Opit ist das Apothekerinnenleben beschwerlicher als hierzulande. Dass die strukturschwache Gegend überhaupt eine funktionierende Arzneimittelversorgung hat, ist dem sächsischen Filmemacher Michael Rischer zu verdanken. Er hat den Aufbau ermöglicht – geschaffen hat das Werk Apothekerin Molly Obuku.

Eigentlich war Rischer für ein ganz anderes Projekt in Uganda. Für die Kriegskinderstiftung drehte er im Norden des Landes eine Dokumentation über die Opfer von Warlord Joseph Kony. Der hatte die Region mit seiner Miliz Lord‘s Resistance Army (LRA) über Jahrzehnte terrorisiert: Die christlichen Fundamentalisten wollten in Zentralafrika einen Gottesstaat errichten und gingen dafür über mehr als 100.000 Leichen. Rund 66.000 Kinder hat die LRA verschleppt und als Kindersoldaten missbraucht – über sie drehte Rischer einen Film in der von 20 Jahren Bürgerkrieg gebeutelten Region.

„Wir haben dort eine Gegend ohne jegliche Infrastruktur erlebt“, erinnert er sich an den Besuch Ende 2012. „Die ehemaligen Kindersoldaten standen nach dem Krieg auf der Straße, hatten nie eine Schule besucht, konnten nur schießen.“ Die entscheidende Begegnung hatte Rischer im Krankenhaus des kleinen Ortes Anaka. In dem Hospital herrschten erschreckende Zustände. Essen gab es nicht. Angehörige von Patienten mussten zum Krankenhaus kommen, um für sie vor dem Tor zu kochen. „Das Hospital bot kaum Service, lediglich den Kindern nahm man Blut ab, um HIV-positiv oder -negativ festzustellen“, erklärt der Filmemacher. „Die Stationen für die Malariakranken waren überbelegt und überall herrschte Chaos.“

Beim Gang um das Krankenhaus fiel ihm dann Molly auf. „Sie saß da und hat ihr vier Monate altes Kind in einem Plastikeimer gewaschen“, erinnert er sich an die erste Begegnung. Molly Obuku ist jedoch nicht nur fürsorgende Mutter, sondern auch Apothekerin. In der ugandischen Hauptstadt Kampala hat sie Pharmazie studiert und danach die Krankenhausapotheke in Anaka geleitet. Es entstand eine kleine Freundschaft, mehrfach besuchten Rischer und seine Begleiter die Pharmazeutin abends in ihrer runden Lehmhütte; man vereinbarte, Kontakt zu halten.

Und tatsächlich hielt der Kontakt: Im darauffolgenden Januar, kurz nach Rischers Rückkehr nach Deutschland, rief Molly an und hatte ein Problem. Die Klinikleitung hat alle Mitarbeiter entlassen. Wer wieder eingestellt werden wollte, musste die zuständigen Behörden schmieren. „Das Geld hatte Molly nicht und fragte ob wir eine Idee haben, was wir tun können.“ Tatsächlich kam Rischer eine Idee. Statt sich zurück in das korrupte Krankenhaus einzukaufen, wollte er ihr ermöglichen, eine eigene Apotheke in der komplett unterversorgten Region aufzubauen – doch dazu musste Geld her.

Also setzte Rischer in den kommenden Monaten alles in Bewegung. „Wir haben gesammelt, gesammelt, gesammelt“, sagt er. Er hielt Vorträge und legte die Eintrittsgelder zusammen, rief in sozialen Medien zu Spenden auf, sprach bei Firmen vor und fand Verbündete – unter anderem Apothekerin Doreen Feustel. Die Inhaberin der Stadt-Apotheke in Rischers Heimatort Pausa beteiligte sich kräftig am Geldsammeln, richtete ein Schaufenster mit Bildern von Rischers Uganda-Reise ein, verkaufte Kalender und stellte eine Spendenbox in der Apotheke auf.

Rischer kennt sie schon viele Jahre und ist von seinen Plänen überzeugt. „Ich mag seinen Ansatz, Menschen dazu zu ermächtigen, sich selbst zu helfen, statt sie von europäischen Spenden abhängig zu machen“, sagt sie. „Ein Satz, den er mal zu mir gesagt hat, hatte mir da die Augen geöffnet: ‚Schenkt den Menschen keine Kleidung, sondern gebt ihnen das Geld für eine Nähmaschine.‘“ Gleiches gelte bei Nahrungsmitteln: „Die gespendete Kartoffel ist immer billiger als die vor Ort angebaute. Mit solchen Lebensmittelspenden macht man meist nur die lokalen Bauern kaputt.“

Damit hat sie Rischers Auffassung gut zusammengefasst. „Mir ist sehr wichtig, dass wir nicht als neue Kolonialherren kommen, sondern den Menschen auf Augenhöhe begegnen“, sagt er. „Das Geld schicken wir vor allem, um in der Region Warenkreisläufe in Gang zu setzen.“ Und Geld kam tatsächlich zusammen: rund 7000 Euro von 30 Spendern. Der erste Schritt sei gewesen, dass sich Molly für umgerechnet 700 Euro eine Apothekenlizenz besorgt. „700 Euro klingt erst mal wenig, aber für Ugander, die im Monat 20 bis 30 Euro verdienen, ist das unbezahlbar“, erklärt Rischer.

Zu Molly gelangte das Geld über Western Union. „Kaum jemand in Uganda hat ein Bankkonto“, sagt er. Mit dem Bargeld mietete sie Räumlichkeiten an, kaufte Inventar und nicht zuletzt Arzneimittel für ihre kleine Offizin. Auch materiell kam Unterstützung aus Sachsen: Ein Unternehmen aus Pausa schickte ihr zwei Solarpanels, um die Stromversorgung der Apotheke zu gewährleisten. 2015 dann hoben sie das Projekt auf die nächste Stufe: Molly ging zurück in ihr Heimatdorf Opit nahe der 150.000-Einwohner-Stadt Gulu.

Dort erwarb sie mit dem Geld aus Deutschland einen Hektar Land und ließ auf dem Grundstück ein Wohnhaus, eine Kochhütte, eine separate Toilette und ein kleines Haus für die Apotheke bauen. Dazu kaufte sie Obstbäume, zwei Kühe und mehrere Hühner. Denn allein von der Apotheke zu leben, ist zu riskant – zwei Kühe, die jeden Tag 10 bis 20 Liter Milch geben, und die Eier der Hühner sichern den Lebensunterhalt. Und nicht nur den von Molly: Drei Helfer hat sie mittlerweile angestellt, die ihr bei der landwirtschaftlichen Arbeit zur Hand gehen.

Mit ihrer kleinen Apothekenfarm ist Molly mittlerweile eine zentrale Instanz im Ort, Rischer überzeugte sich davon erst Anfang des Jahres persönlich. „Bei unserem Besuch 2019 haben wir ein gut funktionierendes Projekt gesehen“, befindet er. Mit der Apotheke versorge sie im Monat 50 bis 70 Patienten, das Sortiment ist im Wortsinne auf das Nötigste beschränkt, hauptsächlich Mittel gegen Schmerzen, Entzündungen, Fieber oder Durchfall, aber auch Verhütungsmittel.

Die Auswahl muss sie auch aus einem ganz praktischen Grund ganz genau treffen: So etwas wie regelmäßige Anlieferungen vom Großhändler gibt es nicht. Die Apothekerin setzt sich einmal im Monat in einen Bus ins 400 Kilometer entfernte Kampala. Nach sechs Stunden Fahrt geht sie in der Hauptstadt zum Großhändler und fährt dann zurück in ihr Dorf. Auch die Abgabe laufe in der Apotheke grundsätzlich anders: Es wird prinzipiell ausgeeinzelt. Patienten kommen mit Beschwerden und erhalten jeweils ihre Tagesdosis. Am nächsten Tag kommen sie wieder. Das spart einerseits Geld, andererseits sichert es die Compliance in einer Gegend, in der viele Menschen weder lesen noch schreiben können.

Rischer ist stolz auf das Erreichte und zieht eine positive Bilanz: Das Dorf ist medizinisch versorgt, vier Menschen haben feste Arbeit, die Farm wirft Milch, Eier, Obst und Gemüse ab und dann ist da noch Martha, Mollys Kind, das sie damals in einem Plastikeimer gewaschen hat. Sie ist heute sechs Jahre alt und kann dank des regelmäßigen Einkommens ihrer Mutter die Schule besuchen. Die Einkünfte aus Apotheke und Landwirtschaft erlauben Molly, das Schulgeld zu bezahlen sowie Bücher und eine Schuluniform zu kaufen. Bei Martha fällt das auf fruchtbaren Boden: Sie ist die Beste ihres Jahrgangs.

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