Südkorea und die Zweitinfektionen Alexandra Negt, 15.04.2020 09:06 Uhr
Aus Südkorea liegen Daten vor, die bei rund 100 Menschen eine erneute Infektion mit Sars-CoV-2 bestätigen sollen. Diese Resultate stehen in der Kritik – nicht alle Wissenschaftler gehen davon aus, dass eine Zweitinfektion so schnell möglich sei. Sie gehen vielmehr von falsch-positiven Testergebnissen aus früheren Tests, oder einer Reaktivierung des Virus aus. Dies könne geschehen, wenn der Organismus noch nicht alle Viren vollständig bekämpft hat.
Die ersten Spekulationen über eine Mehrfachansteckung gab es im Februar: Eine japanische Frau wurde angeblich ein zweites Mal positiv auf Covid-19 getestet. Bereits damals bezweifelten Experten, dass es sich um eine tatsächliche Neuinfektion handeln würde. Virologen schreiben dem Virus biphasische Eigenschaften zu, das heißt, dass die Infektion in zwei Phasen ablaufen könnte. Nach einer Erstinfektion könnte es zu einer minimalen Symptomatik kommen, auf der ein späterer Krankheitsschub folgen könnte. Mirkobiologen der New York School of Medicine gehen davon aus, dass die Infektion mit Sars-CoV-2 zunächst auch inaktiv im Körper vorliegen könnte.
Biphasische Erreger
Zu den biphasischen Erregern gehört beispielweise auch der Milzbranderreger Bacillus anthracis. Hier beobachtet man zu Beginn der klinischen Erscheinungen eine mit hohem Fieber und schwerem Krankheitsgefühl einhergehende Rachenentzündung. Es treten ebenfalls starke Rückenschmerzen auf. Nach ein bis fünf Tagen sinkt das Fieber und steigt nach einem Intervall von etwa einem Tag wieder an – dies ist der Verlauf in zwei Phasen, hier folgen sie relativ kurz aufeinander. Beim aktuellen Erreger Sars-CoV-2 können diesbezüglich noch keine endgültigen Aussagen über die Phasenlängen getroffen werden.
Sollte sich das Virus als biphasischer Krankheiterreger bestätigen, so könnte es zu neuen Problematiken bei der Eindämmung der Verbreitung kommen. Quarantänezeiten und auch die Behandlung an sich mit den zugehörigen Kontrollen müsste in der Art und im Umfang überarbeitet werden. Die Zahl der bereits Genesenen müsste in der Konsequenz ebenfalls nach unten korrigiert werden. Für einen prognostizierten Krankheitsverlauf ist die Frage nach einer möglichen Mehrfachinfektion von zentraler Bedeutung. Die Ausgehbeschränkungen und die Art der Lockerungen müssten ebenfalls erneut überdacht werden. Bislang geht der Großteil der Wissenschaftler davon aus, dass es nach einer überstandener Covid-19-Erkrankung zu einer Grundimmunität kommt.
Die koreanischen Gesundheitsbehörden haben öffentlich Stellung zu den Ergebnissen bezogen. Bei den erneut positiv getesteten Personen handelt es sich um Patienten, die als sicher geheilt aus dem Krankenhaus entlassen wurden und nach drei bis acht Tagen erneut getestet worden sind – mit einem positiven Ergebnis. Es scheint als hätte sich der Patient neu infiziert, als wäre er nie immun gewesen. Deutsche Virologen gehen zum größten Teil davon aus, dass eine erneute Ansteckung in so kurzer Zeit nicht möglich ist. Professor Dr. Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, geht davon aus, dass das Phänomen der „Reinfektion“ auf zwei Punkte zurückzuführen ist:
Zum einen gebe es einen starken kulturellen Unterschied zwischen asiatischen und europäischen Ländern im Hinblick auf den Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Sammeln und Auswerten von Daten. Er sieht die asiatische Kultur des öffentlichen Gesundheitswesens als sehr viel strikter als in Deutschland an. Hierdurch könne beim Thema Zweitinfektion ein scheinbarer Widerspruch entstehen. Wenn in Südkorea die Regel aufgestellt wurde, dass jeder Patient, der zwei aufeinanderfolgende negative Ergebnisse aus PCR-Tests erhält, als geheilt gilt, so entsteht bei einem positiven Test innerhalb einer Nachkontrolle der Anschein, es könnte sich um eine erneute Infektion handeln. Dabei sei eher davon auszugehen, dass das Virus noch im Körper vorhanden war.
Anschaulich erklärt anhand von Goldfischen
Drosten erklärt, dass auch ein PCR-Test nur eine Stichprobe darstellt und vergleicht die Methode anschaulich mit einem Pool voller Goldfische. In der Mitte der Infektion ist die Anzahl an Viren hoch. Übertragen auf das anschauliche Bild bedeutet das: Im Pool befinden sich zahlreiche Fische – nimmt man nun, mit verbundenen Augen, einen Eimer voll Wasser raus, so ist höchstwahrscheinlich ein Goldfisch im Eimer. Am Ende einer Infektion verringert sich die Anzahl der Viren im Körper. Übertragen auf den Pool bedeutet das, die Wahrscheinlichkeit, dass der entnommene Eimer einen Goldfisch enthält sinkt – trotzdem sind noch Tiere enthalten.