Schweiz

Zum Hausarzt? Nein, zum Apotheker! Eugenie Ankowitsch, 11.01.2017 13:21 Uhr

Berlin - 

In der Schweiz sollen Apotheker nach Vorstellungen des Bundesrates in Zukunft zusätzliche Aufgaben in der ambulanten Versorgung übernehmen. Manches ist bereits Realität. Der Krankenversicherer Swica schickt einige seiner Versicherten mit leichten Beschwerden zunächst zum Apotheker. Ein weiterer Anbieter Sympany zog mit Casamed pharm 2017 nach. Das Modell soll Behandlungskosten für Bagatellfälle senken. 

Seit einem Jahr schickt die Krankenkasse Swica – mit 687.000 Versicherten einer der größeren Anbieter in der Schweiz – einen Teil ihrer Kunden direkt in die Apotheke, wenn sie krank sind. „Wir gehen davon aus, dass wir mit 18.000 bis 20.000 Versicherten in diesem Modell ins neue Jahr starten“, sagte eine Sprecherin.

Das Konzept sei vor allem bei jungen Menschen, Berufstätigen und Städtern beliebt. Der Schweizer Apothekenmonitor 2016 habe sogar gezeigt, dass der Gang in die Apotheke bei leichten Gesundheitsstörungen für einen größeren Bevölkerungsanteil erstmals naheliegender als der Besuch beim Arzt.

Konkret sieht die Versicherung vor, dass Patienten im Krankheitsfall für die Beratung als erstes eine der 130 Toppharm-Apotheken aufsuchen. Die Gruppe generiert nach eigenen Angaben einen Jahresumsatz von über 350 Millionen Franken und bedient jährlich rund acht Millionen Kunden. Jede der Toppharm-Apotheken hat vom Verkaufsraum abgetrennte Besprechungszimmer. Zudem arbeiten dort Apotheker, die vom Verband Pharmasuisse als sogenannte Netcare-Spezialisten ausgebildet sind. Stellt sich bei der Untersuchung heraus, dass die Behandlung einen Mediziner erfordert, wird der Patient weiterverwiesen an einen der Ärzte auf der Swica-Ärzteliste. Alternativ kann man auch den telemedizinischen Dienst von Swica Santé24 anrufen.

Die Toppharm-Apotheken bieten die Netcare-Beratung bereits seit rund vier Jahren an. „Die „Erledigungsquote unserer Partnerapotheken, also ohne dass sie einen Arzt oder Medgate hinzuziehen müssen, liegt bei hohen 80 Prozent“, sagte die Swica-Sprecherin. Im Rahmen der Beurteilung können die Apotheker auch kleinere Untersuchungen wie das Messen des Blutdrucks oder Urintests vornehmen. Alle zertifizierten Apotheken seien zudem für Videokonferenzen ausgerüstet.

Normalerweise kostet die Untersuchung in der Apotheke 15 Franken, die nicht über die Krankenkasse abgerechnet werden können. Im Fall der neuen Versicherung übernimmt die Swica diesen Betrag. Kosten für Medgate-Telemediziner muss der Kunde nach Angaben des Versicherers selbst tragen, da diese nicht Teil des Versicherungsprodukts sind. Die Krankenkasse will alle Anreize für eine Arztkonsultation vermeiden.

Während die Kooperation für die Apotheken einen gesicherten Mehrumsatz bietet, verspricht sich die Swica niedrigere Arztkosten. „Viele Fälle lassen sich in der Apotheke lösen“, sagt die Unternehmenssprecherin. „Wir sparen Geld im Gesundheitswesen, wenn die Versicherten nicht bei jeder Bagatelle erst zum Arzt gehen.“ Viele Patienten handelten bereits heute so. Mit einem solchen Versicherungsmodell könne man sie belohnen. Kunden, die sich anstelle vom Arzt als erstes vom Apotheker beraten lassen, erhalten bis zu 19 Prozent Rabatt auf die normale Grundversicherungsprämie.

Für 2017 lancierte die Krankenversicherung Sympany unter dem Namen Casamed Pharm ein vergleichbares Angebot. Die Prämie liegt bis 16 Prozent tiefer als beim Modell mit freier Arztwahl. Versicherte sind verpflichtet, als erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen eine der Partnerapotheken der Sympany aufzusuchen. In der Apotheke werden die Versicherten in einem eigenen Raum von den Apothekern beraten. Je nach Bedürfnis kann auch direkt ein Arzt über Video oder Telefon zugeschaltet werden. Hierfür arbeiten die TopPharm-Apotheken, mit denen auch Sympany kooperiert, mit Medgate zusammen.

Die Apotheker können einfachere Tests direkt in der Apotheke durchführen. Je nach Fall werden die Patienten an einen Allgemeinarzt, Spezialisten oder ein Krankenhaus weitergeleitet. Ist ein Apotheken-Besuch unmöglich, kann die telefonische Hotline von Medgate auch direkt kontaktiert werden. Augenarzt, Frauenarzt oder Kinderarzt dürfen ohne Überweisung durch die Apotheke aufgesucht werden.

Damit Apotheken die Funktion eines Gatekeepers überhaupt wahrnehmen dürfen, benötigen sie mehr Kompetenzen. Solche werden ihnen im novellierten Heilmittelgesetz gewährt. Es erlaubt Apothekern künftig, bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente direkt abzugeben, die heute eine Arzt-Diagnose und ein Rezept voraussetzen.

Schon im Grundstudium sollen künftig die Grundlagen für die neuen Kompetenzen zum Impfen sowie für die Diagnose und Behandlung häufiger Gesundheitsstörungen und Krankheiten vermittelt werden. Bereits ausgebildete und selbstständig tätige Apotheker unterliegen einer Weiterbildungspflicht. Die Bestrebungen zur Aufwertung von Apothekern sind vor dem Hintergrund der steigenden Kosten zu sehen. Aber nicht nur: Es ist auch ein Versuch, den Mangel an Hausärzten zu kompensieren.

Kritisiert werden die neuen Modelle vor allem von der Ärzteschaft. Der Ärzteverband FMH bezweifelt, dass das Modell wirklich die Kosten senkt. In ländlichen Gebieten mit Hausarztmangel gebe es in der Regel auch keine Apotheken. Mit Apotheken als Grundversorger erreicht man also nach Auffassung der Ärzte keine hausärztlich unterversorgten Gebiete im ländlichen Raum, sondern baut eine Parallelversorgung im normalversorgten Gebieten auf.

„Der Apotheker wird nur wenige Fälle abschließend behandeln können“, sagte eine Sprecherin des Verbands. In den übrigen Fällen werde er den Patienten nach der Erstkonsultation in der Apotheke aus Gründen der Patientensicherheit an den Hausarzt oder einen anderen Spezialisten verweisen. Ohnehin seien Apotheker nicht darin geschult, eine fachgerechte Diagnose zu stellen und einen Behandlungsplan festzulegen. „Sie verfügen nicht über die hierzu notwendige umfassende medizinische Ausbildung noch über die klinische Erfahrung aus der Weiterbildung in Spital und Praxis“, so die FMH-Sprecherin.