Schweiz

Debatte um Vorkasse in der Apotheke Maria Hendrischke, 05.08.2016 07:54 Uhr

Berlin - 

Das Schweizer Bundesgesetz sieht vor, dass Patienten auch für erstattungsfähige Medikamente in der Apotheke zunächst in Vorkasse gehen. Anschließend sollen die Rechnungen bei der Kasse eingereicht und übernommen werden. Die Realität sieht anders aus: Die Apotheken geben die Kosten überwiegend direkt an die Kassen weiter – der Patient zahlt gar nicht. Die Schweizer Gesetze sollten eigentlich an die gängige Praxis angepasst werden. Doch nun wollen die Gesundheitskommissionen mehr Bedenkzeit.

Das System, nach dem der Patient das Medikament erst einmal bezahlt und sich die Kosten per Rechnung danach von der Kasse erstatten lässt, nennt sich „Tiers garant“. Es soll ersetzt werden durch das „Tiers payant“ – dabei ist die Krankenkasse direkt für die Vergütung der Leistung zuständig. Laut Bundesrat hatten 2011 bereits 90 Prozent der Versicherer mit den Apotheken eine Vereinbarung abgeschlossen, Medikamente nach „Tiers payant“ abzurechnen. Von den 1789 Schweizer Apotheken würden nur knapp 20 einzig das System „Tiers garant“ akzeptieren, so der Apothekerverband Pharmasuisse.

Die Schweizer Gesundheitspolitiker wollen das „Tiers garant“ beim Arzneimittelkauf abschaffen. Nationalrätin Margrit Kessler (Grünliberale Partei) hatte bereits 2014 einen entsprechenden Vorschlag gemacht, der von den Gesundheitskommissionen im National- und Ständerat angenommen wurde. Denn die Gesundheitspolitiker vermuten, dass Krankenkassen mit dem System „teure“ Patienten verdrängen könnten. Die Befürchtung: Wenn eine Kasse ihren Versicherten nur das System der Vorauszahlung anbietet, könnten Patienten, die regelmäßig teure Medikamente benötigen, sich gezwungen sehen, die Kasse wechseln.

Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) sollte dahingehend abgeändert werden, dass bei Medikamentenbezahlungen das „Tiers payant“ angewandt wird. Aber im Juni haben die Politiker für den Gesetzesentwurf um eine Fristverlängerung bis zum Sommer 2018 gebeten.

Der Grund: Um Patienten vor der Aussortierung der Krankenkassen zu schützen, hat die Schweiz bereits einen anderen Weg gefunden – den Risikoausgleich. Kassen, die unterdurchschnittlich wenige Patienten mit erhöhtem Krankheitsrisiko haben, müssen einen bestimmten Betrag an die Stiftung „Gemeinsame Einrichtung KVG“ zahlen – die Schweizer Entsprechung des deutschen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA).

Das Geld wird als Risikoausgleich an diejenigen Kassen ausgezahlt, die besonders viele Patienten versichern, die hohe Medikamentenkosten verursachen könnten. Ab 2017 sollen die Kriterien für die einzelnen Risikogruppen verfeinert werden. Die Gesundheitskommission will beobachten, wie sich die Situation dann entwickelt.

Pharmasuisse bezeichnet „Tiers payant“ – die Kasse zahlt erstattungsfähige Medikamente direkt – als patientenfreundlicher. Die Variante sei einfacher. Bereits seit 25 Jahren werde das System in Schweizer Apotheken angewandt. Die Krankenkassen profitierten von der „sauberen elektronischen Abrechnung“, die ihnen die Apotheken lieferten. Außerdem senke das System die Kosten für Arzneimittel um 25 Millionen Franken (23 Millionen Euro) pro Jahr: Die Kassen erhalten von den Apotheken Rabatte.

Dass eine Apotheke nachträglich auf doch nicht von der Kasse übernommenen Medikamentenkosten sitzen bleibe, käme sicher vor – aber sei dem Verband kein Fall bekannt. Dennoch hätten die Apotheken gute Erfahrungen mit beiden Systemen gemacht; beide funktionierten. Die politische Überlegung der Systemumstellung sei bei den Schweizer Apothekern kein großes Thema, so der Verband.

Allein vier Kassen sind ausschließlich bei System „Tiers garant“ geblieben. Dazu gehört eine größere Krankenkasse; die Assura. Nach Aussage der Kasse würden die Patienten das System akzeptieren. Zudem kauften sie nur noch Medikamente, die sie wirklich benötigten.

Da Patienten die Rechnungen außerdem nur einreichten, sobald die Kosten erstattet würden, spare die Kasse Verwaltungsgebühren. Denn in der Schweiz zahlen Patienten einen Selbstbehalt von 10 Prozent der Medikamentenkosten, höchstens aber 700 Franken im Jahr. Diese drei Punkte hielten laut Assura die Beitragssätze niedrig.

Schon jetzt müssen Patienten auch nach dem geltenden System „Tiers garant“ Geld nicht vorstrecken, wenn sie es sich nicht leisten können. Stattdessen haben sie die Möglichkeit, in der Apotheke eine Rechnung zu verlangen und mit der Zahlung zu warten, bis die Kasse ihnen das Geld überwiesen hat. Dieses Vorgehen ist auch bei einer Versandapotheke möglich.