Schweiz

Armeeapotheke gegen Lieferengpässe APOTHEKE ADHOC, 21.01.2016 15:11 Uhr

Berlin - 

Arzneimittelengpässe sind nicht nur in Deutschland ein Problem. In der Schweiz hat sich jetzt der Bundesrat damit befasst und zwölf Empfehlungen für eine bessere Versorgung entwickelt. Unter anderem soll die Armeeapotheke besser eingebunden werden und künftig vermehrt Arzneimittel herstellen. Apotheken sollen zudem zur Lagerhaltung verpflichtet werde. Als abschreckendes Beispiel dient Deutschland mit seinen Rabattverträgen.

Akuten Handlungsbedarf sieht der Bundesrat nicht: „Die aktuelle Versorgungslage mit Medikamenten erfordert keine dringlichen Interventionen durch den Bund“, heißt es in dem nun veröffentlichten Bericht. Allerdings räumen die Autoren auch ein, dass es derzeit kein Beobachtungsinstrument gibt, das einen systematischen und flächendeckenden Überblick über die Versorgungslage mit Medikamenten gibt.

Das Schweizer Heilmittelinstitut Swissmedic veröffentlicht – ähnlich wie in Deutschland das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – freiwillige Meldungen von Firmen. Daneben publiziert die Apotheke des Universitätsspital Basel jede Woche eine Übersicht über Lieferengpässe. „Aus diesen Quellen ist ersichtlich, dass das ganze therapeutische Spektrum von Engpässen betroffen sein kann“, so der Bundesrat. Bei rund einem Drittel handele es sich um versorgungskritische Präparate, vor allem Medikamente für die Anästhesie, intravenöse Antibiotika, Impfstoffe sowie wichtige Therapeutika in der Krebsbehandlung.

2011 wurden in Basel 172 Lieferengpässe registriert, 153 verschiedene Präparate waren betroffen. Im Durchschnitt dauerte ein Engpass 21 Tage, in 12 Prozent der Fälle mehr als drei Monate. Im Verhältnis zu rund 8000 zugelassenen Arzneimitteln seien Engpässe nur bei einem sehr kleinen Teil der Medikamente aufgetreten – 1,9 Prozent. Mit einer vorausschauenden Logistik habe die Apotheke die Engpässe kompensieren können – nur in 10 Prozent der Fälle habe kein adäquater Ersatz besorgt werden können.

Insgesamt kommt der Bundesrat zu dem Schluss, dass die Versorgung in der Schweiz gut bis sehr gut ist. „Gleichzeitig sind Versorgungsengpässe bei Medikamenten aber ein weltweites Phänomen und nehmen tendenziell zu“, heißt es in dem Bericht. Deshalb sollen vorsorglich weitere Maßnahmen in die Wege geleitet werden.

Der Bundesrat hat insgesamt vier Handlungsfelder identifiziert: Lagerhaltung, Herstellung, Marktzugang sowie Preisbildung und Vergütung. Die Armeeapotheke könnte als bundeseigener Herstellbetrieb einen Beitrag zur Arzneimittelversorgung leisten. Derzeit verfügt die Apotheke am Standort Ittingen über sechs Produktionslinien. In der 2014 in Betrieb genommenen Anlage können nichtsterile Lösungen wie Desinfektionsmittel, Salben wie Calciumgluconat-Gel, Ampullen und Stechampullen (etwa Morphin-, Adrenalin-, Atropinsulfat-, Gentamicinsulfat-Injektionslösungen), Vials (zum Beispiel Atropinkurzinfusion als Antidot), Infusionen und Tabletten hergestellt werden.

Aufgrund des Konkurrenzverbots produziert die Armeeapotheke derzeit nur sehr wenige Arzneimittel für den zivilen Markt, laut Bundesrat weniger als 5 Prozent. Die Produktion wird allerdings nach zivilen Standards betrieben, sodass sie jederzeit für die Zivilbevölkerung verwendet werden könnte.

Im Kampf gegen Lieferengpässe soll die Herstellung in Apotheken gefördert werden. Kritisch sieht der Bundesrat daher die Tendenz in einigen Kantonen, den Betrieb von Apotheken ohne eigene Herstellungskapazität zu bewilligen. Vielmehr schlägt er vor, Krankenhaus- und Vorortapotheken in ihren Bemühungen, Herstellungskapazitäten zu entwickeln, zu unterstützen.

Die Armeeapotheke könnte mit solchen Apotheken ein Hersteller-Netzwerk bilden, schlägt der Bundesrat außerdem vor. Darüber hinaus könnte die Armeeapotheke als Zulassungsinhaberin von Nischenprodukten auftreten und diese entweder selbst herstellen oder Aufträge an Dritte vergeben. Wenn Unternehmen ihre Produkte vom Markt nehmen, sollen sie künftig dazu motiviert werden, ihre Lizenzen an Dritte zu übertragen – etwa die Armeeapotheke.

Inwieweit die Armeeapotheke tatsächlich mehr eingebunden werden könnte, soll zunächst geprüft werden. „Der Leidensdruck durch die Zunahme von Versorgungsengpässen könnte die Neuausrichtung beschleunigen“, ist der Bundesrat überzeugt.

Um den zunehmenden Schwankungen in der Versorgung mit Arzneimitteln zu begegnen, sollen laut Bundesrat die Lagerbestände entlang der Versorgungskette ausgebaut werden. Beispielsweise könnte die Verpflichtung zur Vorratshaltung von versorgungskritischen Arzneimitteln mit der Betriebsbewilligung verknüpft werden, so der Vorschlag. Das Pflichtlager des Bundes soll erweitert und eine zentrale Lagerhaltung durch Einkaufsgemeinschaften verschiedener Kantone eingerichtet werden.

Kleine und mittelständische Unternehmen, die wichtige Arzneimittel in der Schweiz herstellen, sollen gefördert werden. Der Import von Arzneimitteln aus dem Ausland und die Zulassung von Arzneimitteln soll vereinfacht werden. Bei der Einführung eines Referenzpreissystems für patentfreie Arzneimittel soll auch die Verfügbarkeit am Markt berücksichtigt werden. Einige Maßnahmen, wie die Regelungen zur Lagerhaltung, zum Marktzugang und zur Preisbildung, sollen bis spätestens 2019 in Kraft treten, andere sollen die Kantone nach und nach umsetzen.

„Eher kontraproduktiv“ erscheinen dem Bundesrat Eingriffe in das Vergütungssystem, die den ökonomischen Druck stark erhöhen. „Das Beispiel Deutschland mit der Verpflichtung der Apotheken zur Substitution zu Gunsten des günstigsten Anbieters zeigt, wie dies unter Umständen zu einem ruinösen Marktverhalten führen und letztlich die Versorgungsengpässe verschärfen kann.“