Bei den Nachbarn in der Schweiz arbeiten Apotheker unter anderen Bedingungen als hierzulande. Björn Kersting führte von 2003 bis 2013 die Apotheke Alte Messe in Leipzig. Nun arbeitet er bei einer Schweizer Topwell-Apotheke. Nach etwa elf Monaten zieht er Bilanz und vergleicht den Stand der deutschen und Schweizer Apotheker.
Was den deutschen Apothekern der Versandhandel, das sei den Schweizern das Dispensationsrecht der Ärzte, so Kersting. Aus seiner Sicht überschätzen sich die Ärzte selbst: Einige Apotheken hätten bereits wegen Umsatzeinbußen schließen müssen. Allerdings seien in der Schweiz Ärzte und Apotheker noch eher „Partner auf Augenhöhe“ als in Deutschland. Dort sei der Apothekerberuf „zum Handlangerjob für Ärzte, Kassen und Patient verkommen“, sagt Kersting. Rabattverträge und Retaxationen schränkten die Pharmazeuten in ihren Kompetenzen ein.
In der Schweiz ist das System anders: Wenn ein Apotheker für ein verordnetes Medikament ein günstigeres abgebe, erhält er Kersting zufolge bei der erstmaligen Substitution 40 Prozent der Ersparnis. „Es ist ein Anreizsystem und kein gnadenloses Bestrafungssystem“, so Kersting. Bei Ärztefehlern würden die Apotheker ebenfalls nicht sanktioniert.
Anders als in Deutschland muss in der Schweiz immer ein Apotheker das Rezept vor Abgabe des Medikaments prüfen. Die Befugnisse der PTA – in der Schweiz heißen sie PA – seien damit im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen eingeschränkt, so Kersting.
In der Schweiz würden auch die Kopien von Rezepten akzeptiert; ebenso Faxe oder gemailte Verordnungen als PDF. Apotheker haben laut Kersting die Freiheit, auf Rezepten selbst Ergänzungen zu machen oder Änderungen vorzunehmen, solange es der Therapie dient. Der Apotheker könne etwa die Menge, Stückzahl oder Packungsgröße der ärztlichen Verordnung anpassen.
In begründeten Fällen können Apotheker Rx-Medikamente ohne Rezept abgeben. „Es ist einfach klasse, dass uns hier mehr zugetraut wird als in Deutschland“, sagt Kersting. Das gelte sogar für Betäubungsmittel (BtM). „Ja, wir können in begründeten Fällen BtM ohne Rezept im Notfall abgeben, ohne im Gefängnis zu landen“, so Kersting. Im Kanton Zürich passiere das etwa 50 Mal im Monat. Manche Medikamente, die in Deutschland BtM sind, werden in der Schweiz sogar ohne Rezept abgegeben; Codein zum Beispiel. Im Gegensatz dazu seien Produkte wie Kochsalzlösung oder destilliertes Wasser verschreibungspflichtig.
Des Weiteren können Apotheker ein Rezept ausstellen, das nach der Medikamentenabgabe vom Arzt unterschrieben wird. Dieses System heiße Vorbezug. Wie lange Rezepte gültig seien, hänge vom Kanton ab: In Zürich sei es beispielsweise ein Jahr. Allerdings erhalte der Patient nur zwei Packungen auf Kassenkosten. Darüber hinaus gebe es Dauerrezepte, mit denen sich Patienten bis zu 24 Monate lang ihre Verschreibung aus der Apotheke holen können, zwölf davon auf Kassenkosten.
In einigen Punkten geht es den deutschen Apothekern dennoch besser: Bei Hochpreisern verdienten die Kollegen in der Schweiz weniger als in Deutschland. Statt 3 Prozent an einer verkauften Packung erhalten Schweizer Apotheker laut Kersting höchstens 240 Franken pro Packung. Der Verdienst sei somit gedeckelt.
Was ihm wirklich fehlt, ist sein altes Warenwirtschaftssystem. Die Apothekensoftware in der Schweiz sei deutlich schlechter, sagt Kersting. „Umständliche Bedienung, schlechte Auswertung, unzufriedenstellende Verknüpfungen, nur 100 Prozent genaue Suchen möglich“, fasst er zusammen. Zudem vermisse er die ABDA-Datenbank.
Kerstings Fazit nach fast einem Jahr als Apotheker in der Schweiz: „Ich selbst habe nicht mehr vor, in Deutschland als Apotheker zu arbeiten.“ Ihm gefällt, wie er im Ausland den Beruf gestalten kann. Er freut sich, „Freiheiten zu haben, die wirklich eines Freiberuflers würdig“ seien.
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