Wer in der Schweiz an einer Bagatellkrankheit leidet, kann sich in Apotheken beraten und mit einer Reihe rezeptpflichtiger Arzneimittel behandeln lassen. Das geht nach dem neuen Heilmittelgesetz auch ohne eine ärztliche Verordnung. Denn bereits seit Jahresbeginn wurden die sogenannten Abgabekategorien bei Arzneimitteln umverteilt – die mit der kürzlich abgeschlossenen Umverteilung neu eingestuften Medikamente dürfen Apotheker nun nach einer dokumentierten Beratung abgeben.
Die Reform des Heilmittelgesetzes hatte in der Schweiz viel Kritik einstecken müssen: „Hustensaft bald nur noch auf Rezept“, titelten mehrere Schweizer Zeitungen fast gleichlautend. Die Apotheker wiederum mussten ebenfalls eine Kröte schlucken: Hunderte Präparate wurden nämlich aus der Apothekenpflicht entnommen und sind seitdem in Drogerien erhältlich. Die Neuordnung der Abgabekategorien hat den Apothekern aber auch eine Kompetenzerweiterung gebracht, die für viele Patienten alltagstauglich sein dürfte.
Denn die Kategorie C für Arzneimittel, die zwar rezeptfrei sind, aber nur nach einer Fachberatung durch Medizinalpersonal abgegeben werden dürfen, wurde abgeschafft. Rund 600 Arzneimittel in ihr wurden umverteilt in die Kategorien B und D, laut der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic zu 85 Prozent in die Kategorie D, also rezeptfreie Arzneimittel, die künftig nach Beratung auch in Drogerien verkauft werden dürfen, darunter Iberogast, Sinupret, Buscopan, Talcid, Loperamid oder Voltaren Dolo forte und pflanzliche Arzneimittel mit Johanniskraut. Rund 100 Arzneimittel, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit eine Beratung durch eine Medizinalperson erfordern, wurden in die Kategorie B heraufgestuft, sind also jetzt rezeptpflichtig – allerdings nicht ganz.
Denn eine Regelung sieht vor, dass Apotheker nun diese neu kategorisierten Rezepte nach einem dokumentierten Beratungsgespräch auch ohne ärztliche Verordnung abgeben dürfen, eine sogenannte „Abgabe ohne Rezept mit Abklärung“. Darunter sind hauptsächlich Arzneimittel gegen Batagellkrankheiten wie Bisolvon, Hustenmittel mit dem Wirkstoffen Codein und Dextromethorphan, aber auch die Pille danach EllaOne, Hexamidin-Augentropfen gegen Bindehautentzündung oder Motilium gegen Übelkeit.
Der Apotheker validiert dabei in Eigenregie und ist gesetzlich verpflichtet, die Abgabe zu dokumentieren. Beim Apothekerverband Pharmasuisse zeigt man sich zufrieden mit der Kompetenzerweiterung. „Der Kunde erhält die Lösung für sein Gesundheitsproblem ohne Wartezeiten und Verzögerung“, schreibt der Verband. „Und Gewissheit durch eine richtige und sichere Medikation und Therapie durch die Apothekerin, der Expertin im Medikamentenmanagement.“
Dass der Verband jetzt erst auf die Kompetenzerweiterung hinweist, liegt am Umverteilungsverfahren: Das zog sich nämlich noch bis vor kurzem hin, da viele Hersteller Widerspruch gegen die neue Einstufung einlegten. Schließlich ist mit der Neukategorisierung als verschreibungspflichtiges Präparat einiges an neuen Auflagen verbunden, nicht zuletzt das Werbeverbot für Rx-Arzneimittel. Der aktuellen Liste von Swissmedic zufolge sind nach wie vor mehrere Beschwerdeverfahren anhängig. Die Behörde begründet die Heraufstufung der Präparate mit einem erheblichen Missbrauchspotential und einem erheblichen Risiko von schwerwiegenden Wechselwirkungen mit anderen verschreibungspflichtigen Medikamenten.
In der jüngeren Vergangenheit hat die Bedeutung der Apotheker im Schweizer Gesundheitswesen zugenommen, nicht zuletzt aus Kostengründen. So gibt es neben dem Impfrecht für Apotheker beispielsweise Tarife in der gesetzlichen Krankenversicherung, bei denen die Versicherten weniger Beiträge zahlen, wenn sie sich ihre Erstberatung statt bei einem Arzt in einer Apotheke holen. Die Idee dahinter: Patienten mit diesem Versicherungsmodell wenden sich bei gesundheitlichen Problemen zuerst an die Apotheke und diese empfiehlt dann eine medikamentöse Behandlung oder die Überweisung zum Arzt. Damit sollen nicht nur Praxen und Notaufnahmen entlastet, sondern vor allem Geld gespart werden.
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