Vor zwölf Jahren fiel in Norwegen des Fremd- und Mehrbesitzverbot. Damit änderte sich der Apothekenmarkt von Grund auf: Innerhalb von nur zwei Jahren kauften Phoenix, Celesio und Alliance Boots nahezu alle Apotheken auf. Auch Bjarne Thune verkaufte seine Apotheke – und bereut es heute. Die Versprechen, die ihm damals gemacht wurden, wurden nicht gehalten.
Thune wurde 1946 geboren und wuchs an der Westküste Norwegens auf. 1972 begann er als angestellter Apotheker in der Svaneapoteket in Bergen – der ältesten Apotheke Norwegens. Fünf Jahre später eröffnete er seine eigene Apotheke auf Askøy, einer Insel vor Bergen. Er begann mit vier Angestellten, 20 Jahre später hatte er 20 Mitarbeiter. „Askøy-Apotek war mein Baby, und ich war sehr stolz auf meine Apotheke“, sagt Thune heute.
Im März 2001 fiel das Fremd- und Mehrbesitzverbot; der zuständige Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium tauchte kurze Zeit später als Geschäftsführer beim Apothekerverband wieder auf. Vorbild war Island: Dort waren bereits 1996 die Vorgaben für Apotheken gelockert worden, um den Wettbewerb anzukurbeln.
„Die norwegischen Politiker wünschten sich niedrigere OTC-Preise, längere Öffnungszeiten, mehr Apotheken, und dass die 'stinkreichen' Apotheker nicht 'noch stinkreicher' werden“, erzählt Thune. „Sie sagten: 'Schaut nach Island!' Sie glaubten, dass Wettbewerb jedes Problem lösen kann.“
Dann ging es Schlag auf Schlag: „Alle meine Kollegen schienen ihre Apotheke ohne zu zögern zu verkaufen“, erzählt Thune. Unter den Apothekern wuchs die Panik. „Nur etwa 15 sture und selbstbewusste Inhaber haben ihre Apotheke nie an Ketten verkauft“, sagt Thune.
Auch bei ihm wuchs die Angst. Außerdem lockte das Geld: „Ich fühlte mich durch zahlreiche Anrufe und Besuche von den neuen Kettenbetreiber geschmeichelt, und die Angebote wurden besser und besser – die Ketten überboten sich gegenseitig.“ Unter den Angestellten sei unterdessen die Sorge gewachsen: Was, wenn wir die letzten sind?
Schließlich gab auch Thune auf: 2002 – er war damals der letzte unabhängige Apotheker in Westnorwegen – verkaufte er seine Apotheke an eine Kette, deren Namen er aus Prinzip nicht preisgeben möchte.
Er entschied sich für das kleinste Übel: Keiner der Mitarbeiter sollte gehen müssen, die Apotheken der Kette sollten nicht im ganzen Land gleich aussehen und in der Verwaltungsebene waren viele Apotheker – „von denen ich einige kannte!“
Außerdem wurde ihm ein guter Preis geboten und Thune konnte weiterhin als Leiter seiner Apotheke arbeiten. Die Kette versprach ihm außerdem weniger Papierkram: „So lange, wie ich alle Rechnungen nach Oslo senden würden, würde sich die Zentrale darum kümmern.“
Doch es kam anders: Bald habe sich gezeigt, dass das System keineswegs so funktioniere, wie versprochen, sagt Thune. So habe er jedes Blatt Papier kopieren müssen, um nachweisen zu können, das es jemals existiert habe. Zusätzlich habe er viele neue Berichte verfassen müssen: „Am ersten Tag eines jeden Monats mussten bis spätestens 15.30 Uhr die Zahlen des Vormonats vorliegen und an die Zentrale geschickt werden. Wenn ich das nicht schaffte, wurde mir gesagt, ich behindere das System.“Es dauerte nicht lange, bis die Apotheke umgebaut wurden – „um Platz zu machen für nicht ernst zu nehmende Kräuterprodukte, neue Kosmetika, Brillen und Sonnenbrillen, Gesundheits- und Sportsocken und -schuhe, Gesundheits- und Sportunterwäsche sowie Sportgeräte wie Springseile oder Bälle“, erzählt Thune. „Ich habe mich für meine Apotheke geschämt.“
In der Freiwahl herrschte Chaos: Die Kunden mussten im Zickzack an neuen Regalen und Aufstellern vorbeilaufen, es gab keinen Platz mehr für Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen, „und nur die Glücklichen konnten finden, was sie suchten“, beschreibt Thune seine Apotheke.„Vom ersten Tag an wurde betont, dass man nun Teil einer Kette war.“ Das bedeutete zum Beispiel auch, dass man Personal an andere Apotheken „ausleihen“ musste, wenn dort Bedarf bestand. „So wusste man am Morgen nie, wo man an diesem Tag arbeiten würde“, so Thune. Die verordneten längeren Öffnungszeiten musste der Apotheker mit demselben, oder sogar weniger Personal stemmen.
Die Manager in Oslo wollten außerdem nicht, dass sich die Apotheker verschiedener Ketten trafen: „Die lokalen Apothekervereine wurden aufgelöst und durch Meetings innerhalb der Kette ersetzt“, erzählt Thune. Das habe bedeutet, dass man plötzlich zwei Drittel der Kollegen nicht mehr treffen durfte.Das Ziel, mehr Apotheken im Land zu haben, hat die norwegische Regierung erreicht, statt 397 gibt es heute 738. Auch die Öffnungszeiten seien heute länger, so Thune. Allerdings zu einem Preis: „Norwegen musste immer mehr Personal aus anderen Staaten, wie Polen oder dem Baltikum gewinnen.“ Oft war dessen Norwegisch jedoch nicht ausreichend, und es gab Verständigungsprobleme mit den Patienten.
Thune hatte 2008 genug von dem Dasein als Kettenapotheker und hängte seinen Beruf an den Nagel. Seitdem ist die Zahl der Mitarbeiter in seiner alten Apotheke von 16 auf zehn gesunken, und zweimal wurde bereits umgebaut. Mittlerweile gibt es für die 19.000 Einwohner der Insel drei Apotheken: eine von Boots, zwei von Phoenix.
Thune findet es besonders schade, dass es kaum noch „alte“ Apotheken gibt: „In Norwegen haben wir den größten Teil unserer Apothekengeschichte weggeworfen – auch darauf bin ich nicht stolz.“
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