Nachdem sich der Aktienkurs von Walgreens Boots Alliance (WBA) halbwegs erholt hat, hat sich Konzernchef Stefano Pessina erstmals ausführlich zur wachsenden Konkurrenz durch Amazon geäußert. „Ich glaube nicht, dass davon eine große Bedrohung ausgeht“, so Pessina im Interview mit Bloomberg. Ohne stationäre Apotheken werde es auch in Zukunft schlicht nicht gehen, ist er sicher. Und für Amazon werde es schwerer sein, sich im Ladengeschäft zu etablieren als es umgekehrt für die echten Apotheken sein werde, sich zu digitalisieren.
Amazon expandiert zwar immer weiter in den Arzneimittel- und Gesundheitsmarkt, doch Pessina sieht keinen Grund zur Panik: Der Internetgigant zeige in der jüngeren Vergangenheit, dass er auf lange Sicht nicht ohne stationäre Geschäfte auskomme. So hatte der Konzern aus Seattle im vergangenen Jahr für 13,7 Milliarden US-Dollar die Bio-Supermarktkette Whole Foods Market mit ihren 461 Filialen gekauft. Doch nicht nur durch Akquisitionen versucht Amazon seine physische Präsenz zu stärken, sondern auch durch neue Konzepte: Im September eröffnete in New York der erste „Amazon 4-Star“, ein Markt, dessen Sortiment durch Kundenbewertungen und Verkaufszahlen bestimmt wird.
Bereits im Dezember 2016 hatte Amazon die erste Filiale von Amazon Go eröffnet, dem ersten Supermarkt, der ganz ohne Registrier- und SB-Kassen auskommt. Nach einigen technischen Startschwierigkeiten rollt er das Konzept mittlerweile weiter aus. Schon in Kürze soll auf dem Berliner KuDamm die erste als Pop-up-Store getestet werden. In den nächsten Jahren sollen bis zu 3000 neue Filialen eröffnet werden, kündigte der Konzern im September an. „Das zeigt: Sie haben verstanden, dass man nicht nur online sein kann“, so Pessina. Die Strategie sei ein Eingeständnis, dass es ohne „Brick and Mortar“, also den stationären Handel mit physischem Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer, nicht gehe. „Der Kunde der Zukunft wird nicht glücklich sein, nur zu Hause zu sitzen und mit einer Alexa zu reden.“
Vor allem bei Arzneimitteln würden die Menschen immer das Bedürfnis haben, sich von Angesicht zu Angesicht beraten zu lassen, allein schon der Sicherheit wegen und um Fragen zu Rezepten zu beantworten. Und da sei Walgreens im Vorteil: „Für Amazon wird es schwerer sein, eine physische Infrastruktur aufzubauen, als es für uns sein wird, unser Unternehmen zu digitalisieren“, zeigt sich Pessina zuversichtlich. „Das wird ein weiterer Wettbewerber, aber ich denke nicht, dass wir wegen Amazon verschwinden werden. Wir werden uns anpassen.“
Die Investoren scheinen Pessina da nicht voll zuzustimmen, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg entgegenhält: Seit der Fusion von Walgreens und Alliance Boots im Jahr 2014 haben die Aktien des Konzerns um 1,9 Prozent an Wert verloren. Für die Amazon-Aktien ging es im selben Zeitraum 467 Prozent nach oben. Pessina demonstriert dennoch Gelassenheit: Schon nach der Pillpack-Übernahme durch Amazon, die die WBA-Aktien kurzzeitig um 10 Prozent nach unten schickte, übte er zwar sanfte Selbstkritik, dementierte aber jegliche Zukunftsangst. „Die Welt der Apotheken ist sehr viel komplexer als die einfache Auslieferung bestimmter Pillen oder Packungen.“ Stationäre Apotheken werden in dieser Welt auch in Zukunft „sehr, sehr wichtig sein“, so der gebürtige Monegasse.
Doch Pessina will zeigen, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hat: In den letzten zwei Jahren drückt WBA bei der Digitalisierung auf die Tube. Dazu beigetragen hat einem Bericht des Wirtschaftsmagazins Forbes zufolge allerdings auch eine Reihe wichtiger Aktionäre, die ihn unter Druck gesetzt haben, neue Ideen und Konzepten zu liefern, wie man der zunehmend dynamischen Expansion Amazons begegnen könnte. Neben Kooperationen mit dem chinesischen Amazon-Pendant Alibaba ist WBA im Sommer ins Telemedizin-Business eingestiegen. Statt nur eine eigene Telemedizin-App anzubieten, setzt WBA auf eine Plattform-Lösung, die bereits bestehende Anbieter mit einbezieht. Unter dem Namen „Find Care Now“ kann man über die Website und die App der Apothekenkette Online-Sprechstunden buchen. Es ist das erste mal, dass ein US-Apothekenkonzern ein solches Angebot startet.
Jüngster Streich ist eine Kooperation mit der US-Supermarktkette Kroger. Dabei können Kunden seit Oktober online auf der Kroger-Homepage bestellen und die Waren dann in Walgreens-Filialen abholen. Die Zusammenarbeit erstreckt sich vorerst auf 13 Walgreens-Filialen im nördlichen Kentucky, nahe der Kroger-Firmenzentrale in Cincinatti. Eine genaue Projektdauer wurde nicht genannt, das Konzept werde die nächsten Monate ausprobiert und das Feedback der Kunden in die Evaluation einbezogen.
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