Pay-for-Delay: EuGH macht ernst APOTHEKE ADHOC, 22.01.2020 15:34 Uhr
Absprachen zwischen Original- und Generikaherstellern können laut Juliane Kokott, Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) rechtswidrig sein. Wenn es nur darum ging, den Markteintritt zu verzögern, und keine andere Gegenleistung gewährt wurde, sei dies sowohl als bezweckte oder bewirkte Einschränkung des Wettbewerbs als auch als missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung zu bewerten. In dem Verfahren geht es um Paroxetin.
GlaxoSmithKline (GSK) hatte in Großbritannien mit den Generikaherstellern Ivax, Generics und Alpharma Deals geschlossen haben, um die Einführung von Konkurrenzprodukten zu seinem Antidepressivum Seroxat (Paroxetin) hinauszuzögern. Mit den geschlossenen Vergleichen wurden Rechtsstreitigkeiten über die Gültigkeit der Sekundärpatente von GSK beigelegt. Die Wettbewerbsbehörde CMA sah darin unzulässige Absprachen und verdonnerte die Firmen zu einer Strafe von insgsamt knapp 40 Millionen Pfund. Gegen die Geldbußen legten die Hersteller Beschwerde beim Gericht für Wettbewerbssachen ein, das den EuGH um Vorabentscheidung ersuchte.
Laut Kokott lässt sich aus der Tatsache, dass trotz der bestehenden Unsicherheiten bezüglich der Gültigkeit der angefochtenen Patente nicht auszuschließen sei, dass Orgiginal- und Generikahersteller potenzielle Wettbewerber waren. Die Rechtsstreitigkeiten, die schließlich per Vergleich beendet wurden, seien vielmehr als Maßnahmen zur Vorbereitung des Markteintritts zu sehen.
Entscheidend sei insoweit nicht, wie stark die angefochtenen Patente waren oder welche Erfolgsaussichten die Parteien mit ihren Klagen gehabt hätten, sondern ob für die betreffenden Generikahersteller tatsächliche und konkrete Möglichkeiten für den entsprechenden Launch bestanden hätten. Bei der Prüfung dieser Frage müsse die Wettbewerbsbehörde alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, zum Beispiel wie weit die Generikahersteller mit ihren Vorbereitungen fortgeschritten waren.
Klagen gegen Patentrechte seien im Arzneimittelsektor nicht ungewöhnlich, so Kokott. Vereinbarungen, bei denen sich der Generikahersteller gegen eine Zahlung des Patentinhabers verpflichte, von einem Markteintritt und der Anfechtung des Patents abzusehen, beseitigten den normalen Wettbewerb. Sofern der Zahlung keine andere Gegenleistung als diese Unterlassung gegenüberstehe, stelle eine solche Vereinbarung eine bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs dar.
Keineswegs sei nur auf die Wahrscheinlichkeit der Nichtigerklärung des Patents abzustellen. Vielmehr sei zu prüfen, ob durch die Vereinbarung der Wettbewerb beseitigt worden sei und ob diese Wirkung aufgrund der Begleitumstände der Vereinbarung spürbar sei. Zur Abgrenzung des relevanten Markts seien alle Generika einzubeziehen, wenn erwiesen sei, dass die Hersteller zum Zeitpunkt des Abschlusses der betreffenden Vereinbarungen in der Lage waren, mit der nötigen Schnelligkeit und Intensität in den Markt einzutreten, um einen nennenswerten Wettbewerbsdruck auf den Patentinhaber auszuüben, und zwar unabhängig von der hinsichtlich der Gültigkeit der Patente und der Verletzung der Patente durch die Generika bestehenden Unsicherheit.
Kokott gelangt zu dem Schluss, dass der Abschluss einer unter das Kartellverbot fallenden Vereinbarung gleichzeitig eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstellen kann, wenn sie – für sich genommen oder in Verbindung mit anderen Vereinbarungen derselben Art – geeignet ist, die Struktur des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu beeinflussen, indem sie den Wettbewerb auf diesem Markt beeinträchtigt oder gar beseitigt.
Bei der Prüfung beider Fragen muss laut Kokott auch den eventuellen Vorteilen Rechnung getragen werden, die die betreffenden Vereinbarungen für die Verbraucher mit sich gebracht hätten. Diese können nach ihrer Ansicht Zweifel am wettbewerbswidrigen Zweck der Vereinbarungen aufkommen lassen, sofern sie die nachteiligen Auswirkungen ausgleichen. Davon könne aber keine Rede sein, wenn die Vereinbarungen für die Verbraucher nur begrenzte Vorteile mit sich brächten, gleichzeitig aber einen wirksamen Wettbewerb ausschalteten, indem sie alle oder die überwiegende Mehrzahl der Quellen potenziellen Wettbewerbs neutralisierten.