Gutachten

Österreich: Wettbewerbsbehörde vs. Apotheker Tobias Lau, 18.05.2018 17:23 Uhr

Streit vorprogrammiert: Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde hat ein Gutachten zum Apothekenmarkt veröffentlicht. Sie verlangt eine umfassende Liberalisierung, inklusive Versand, OTC-Verkauf und Ende der Bedarfsprüfung. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Die österreichischen Apotheker laufen Sturm gegen die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Grund: Die hat eine Branchenuntersuchung zum österreichischen Apothekenmarkt samt Handlungsempfehlungen an die Politik veröffentlicht. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: Liberalisierung, Liberalisierung und Liberalisierung.

„Unprofessionell“, „irreführend“, „spielt mit der Gesundheit, im schlimmsten Falle sogar mit dem Leben von Patienten“ – die Spitzenfunktionäre der österreichischen Apothekerschaft haben rhetorisch die großen Geschütze aufgefahren. Sie empören sich über die Wettbewerbsbehörde der Alpenrepublik, denn die hat den dortigen Apothekenmarkt einer Wettbewerbsanalyse unterzogen und die Ergebnisse fallen ernüchternd aus.

„Auch wirtschaftlich ineffizient geführte Apotheken oder solche, die mangelnde Qualität für den Konsumenten bieten, müssen kaum um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten“, heißt es da. Denn sie „verfügen in ihrem geographischen Gebiet über eine monopolartige Wettbewerbsposition“ und „agieren im Wesentlichen frei von Wettbewerbsdruck und Konkurrenzkampf“. Deshalb gebe es kaum Qualitäts- und Preiswettbewerb, so die Behörde.

Deshalb plädiert sie für ein Ende oder eine Umgestaltung der Bedarfsprüfung in Österreich. Das werde zu einer gesteigerten Apothekenzahl und damit einer besseren Versorgung der Konsumenten führen. Derzeit gibt es in Österreich 1357 Apotheken bei knapp 8,8 Millionen Einwohnern. Im europäischen Vergleich verfüge das Land deshalb mit 15,4 Apotheken je 100.000 Einwohner über eine geringe Apothekendichte.

Immerhin: Der Report plädiert für eine Beibehaltung des Ketten- und Fremdbesitzverbots. So lange der Konzessionsinhaber eine Berufsberechtigung als Apotheker vorweisen muss, könne eine „weitergehende vertikale Integration des pharmazeutischen Großhandels“ vermieden werden, die negative Folgen wie Marktzutrittsbarrieren, eine Abschottung „fremder Apotheken“ und das Verschieben von Sortimentsbreite und -tiefe zu Gunsten der vom Großhändler angebotenen Waren mit sich bringe.

Auch beim Filialsystem sowie den Regelungen der Öffnungszeiten, der Dienstleistungen, des Online-Handels mit Arzneimitteln, der Zustrelleinrichtungen und des OTC-Marktes steht als Handlungsempfehlung stets derselbe Begriff: Liberalisierung. Bisher darf ein Approbierter in Österreich eine Haupt- und eine Filialapotheke betreiben, wobei die Filiale maximal vier Kilometer von der Hauptapotheke entfernt sein darf und bei Betriebszeiten und räumlicher Mindestausstattung niederschwelligen Vorschriften unterliegt. Diese Begrenzungen verhindern laut Gutachten Skaleneffekte.

So empfehlen die Wettbewerbshüter, dass die Zahl der zulässigen Filialapotheken auf drei pro Apotheker erhöht, wodurch besagte Skaleneffekte generiert und durch eine höhere Dichte eine bessere Versorgung der Bevölkerung erreicht werden könne. Auch das „komplexe Regelungssystem der Öffnungszeiten und Bereitschaftsdienste“ sei eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit und solle verschlankt werden, indem man es einfach an die allgemeinen Ladenöffnungszeiten anpasst. Individuellere Öffnungszeiten führen demnach zu einem gesteigerten Qualitätswettbewerb und kommen so der Versorgung zugute.

„Erhebliches Potenzial“ sieht die BWB wiederum beim Online-Handel – das gelte es aber noch auszuschöpfen. Aufgrund „engmaschiger Regulierung“ sei es für österreichische Unternehmen schwierig, in den Online-Medikamentenmarkt einzutreten. Das sei ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für die österreichischen Apotheken. Die Lösung des BWB: Stationäre Apotheken dürfen keine rechtliche Voraussetzung mehr für den Einstieg in den Online-Handel sein.

Das würde dem Gutachten zufolge nicht nur zu einem gesteigerten Preiswettbewerb zwischen stationären und Online-Apotheken führen, sondern auch zu einem Qualitätswettbewerb. Durch den Konkurrenzdruck würden die Apotheken ihre Beratungsleistung verbessern und ihre sonstigen Dienstleistungen ausbauen, so die Logik des BWB.

Ebenfalls blutdrucksteigernd für die meisten Apotheker: Die Wettbewerbsbehörde empfiehlt eine Liberalisierung der Abgabe von OTC-Arzneimitteln. Deren gesetzlicher Vorbehalt führe nämlich zu einem Monopol der öffentlichen Apotheken in diesem Markt. Es solle deshalb eine Erweiterung des Sortiments an OTC-Arzneimitteln erwogen werden, die auch von anderen Stellen wie Drogerien abgegeben werden dürfen. Dies führe zu einer besseren Versorgung sowie über den Preiswettbewerb zwischen Apotheken und sonstigen Abgabestellen zu mehr Preistransparenz und sinkenden Preisen.

Die Apothekerkammern haben umgehend begonnen, aus allen Rohren gegen das Gutachten zu schießen. Es sei „absurd, versorgungsorientierte Apothekenunternehmen als ineffizient zu bezeichnen“ und beweise „die Kurzsichtigkeit der Wettbewerbsbehörde bei ihrer einseitigen Betrachtung des österreichischen Apothekensystems“, so Christian Wurstbauer, Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer. Die empfohlene Deregulierung öffne „der Machtkonzentration durch einige wenige Akteure Tür und Tor“.

Keine der Erwartungen, die die BWB mit der Liberalisierung verknüpft, würde durch deren Umsetzung tatsächlich eintreten, stimmt Raimund Podroschko, ebenfalls Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer, ein. Internationale Vergleichsstudien zwischen regulierten und deregulierten Apothekenmärkten hätten gezeigt, dass sich eine Liberalisierung nicht positiv auf die Versorgung ausübt.

Als Beispiel nennt Wurstbauer Deutschland. Dort habe beispielsweise die freie Niederlassung zu einer Konzentration von Apotheken in hochfrequenten Lagen wie Innenstädten oder Einkaufszentren geführt. „Die Anzahl der ‚Versorgungsapotheken‘ im ländlichen Raum ist zurückgegangen und hinterlässt riesige Lücken in der flächendeckenden, wohnortnahen Arzneimittelversorgung in Deutschland“, so Wurstbauer.