In Österreich machen nicht nur dispensierende Ärzte den Apotheken Konkurrenz, sondern womöglich bald auch der Pharmagroßhandel: Die Regierung in Wien will Alten- und Pflegeheime unter Umgehung der Apotheken direkt von den Logistikern mit Arzneimitteln beliefern lassen. So sieht es zumindest eine bislang wenig beachtete Passage im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien vor. Ein entsprechendes Gesetz gibt es bisher noch nicht – dafür Widerstand von allen Seiten.
Schon ab Juli sollen laut der Erklärung die knapp 900 Pflegeheime Medikamente direkt beim Großhandel bestellen. Die Koalition aus Sozialdemokratischer Partei Österreichs (SPÖ) und Österreichischer Volkspartei (ÖVP) argumentiert mit Einsparungen: Die Heime dürften das Apothekerhonorar selbst einstreichen.
Protest gegen solche Gedankenspiele kommt beispielsweise vom Apothekerverband: Dort ist man überzeugt, dass nur Apotheken den besten Service in der Belieferung von Heimen mit Arzneimitteln anbieten können. Die Apotheken wären zudem wirtschaftlich betroffen: „Wir befürchten gravierende Einbußen“, sagt Präsident Dr. Christian Müller-Uri. Schließlich seien Heimbewohner eine wichtige Patientengruppe für die Apotheker.
Müller-Uri wundert sich, dass die Regierung bisher keine Angaben über Einsparpotentiale gemacht habe. In Vorbereitung auf das Thema hat der Apothekerverband in Kooperation mit einem unabhängigen Institut eine Umfrage unter seinen rund 1200 Mitgliedern zum Thema Alten- und Pflegeheimbelieferung gestartet. Die Ergebnisse der Studie sollen im Sommer vorgestellt werden.
Das Regierungsübereinkommen sieht im Kapitel „Effizienz und Bürokratieabbau“ aber nicht nur die Direktbelieferung von Pflegeheimen durch Großhändler vor: Den Einrichtungen soll die Verblisterung und Bevorratung von Medikamenten ermöglicht werden.
Ein Sprecher der Apothekerkammer sagte dazu, die Heime könnten eine sachgemäße Lagerung der Medikamente gar nicht leisten. Auch sei eine Notfallversorgung vom Großhandel nicht zum stemmen, sondern nur durch das dichte Bereitschaftsnetz der Apotheken gewährleistet. Auch bei Chargenrückrufen könnte der Großhandel nicht schnell genug reagieren.
Die Apotheker erhalten Unterstützung von der Branche: In einem gemeinsamen Appell der Kammer, der Arbeitsgemeinschaft des Pharmazeutischen Großhandels (Arge Pharmazeutika) und des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) an die Regierung heißt es, die Leistungen der Apotheken für die Bewohner von Pflegeheimen seien unverzichtbar. Beispielsweise garantierten Apotheker für Arzneimittelsicherheit durch Überprüfung der ärztlichen Verschreibungen, durch Berücksichtigung von Wechselwirkungen und Kontrolle auf Arzneimittelfälschungen.
Dass der Großhandel die Petition gegen eine mögliche Direktbelieferung unterstützt, liegt an der vorgesehenen Honorarverteilung. Die Großhändler hätten keine finanziellen Vorteile, weil die Apothekerspanne komplett an die Heime gehen würde. Bei den Großhändlern bliebe nur der logistische Mehraufwand hängen.
Ob tatsächlich im Juli ein entsprechendes Gesetz kommt, ist mehr als fraglich, zumal viele Fragen offen sind: Zu klären wäre unter anderem, wie mit den Sozialversicherungen abgerechnet werden müsste, wer für die Lagerung der Medikamente in den Pflegeheimen verantwortlich wäre und wer in pharmazeutischen Fragen berät. Um die Apothekenpflicht zu umgehen, könnten die Pflegeheime im Arzneimittelgesetz neu eingestuft werden.
Kritik kam auch von der Opposition: Dagmar Belakowitsch-Jenewein von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) sagte, dass es durch eine Direktbelieferung zu einer massiven Verschlechterung der Arzneimittelversorgung der Heimbewohner komme würde.
Die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Apotheken habe bisher garantiert, dass rund um die Uhr schnelle Hilfe geleistet wurde, eine umfangreiche Beratung erfolgte und für die individuellen Bedürfnisse der Patienten maßgeschneiderte Arzneimittel angefertigt werden konnten. Die FPÖ fordert Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) deswegen auf, keine Änderungen in diesem Bereich vorzunehmen.
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