Wenn das deutsche Gesundheitswesen ein Haifischbecken ist, ist das österreichische ein Bassin voller Feuerquallen. Will heißen: Verteilungskämpfe werden nicht hinter verschlossenen Türen geführt, sondern in aller Öffentlichkeit. Die Pharmahersteller wehren sich gegen ein geplantes Spargesetz, indem sie die Misswirtschaft bei den Kassen zum Thema machen.
In Österreich rechnen die Krankenkassen in diesem Jahr mit einem Defizit von knapp 130 Millionen Euro, bei Gesamtausgaben von 25 Milliarden Euro. Noch sind Rücklagen vorhanden, doch weil die Arzneimittelpreise steigen, sollen Industrie und Großhandel höhere Abschläge zahlen.
Derzeit zahlen die Firmen „freiwillige“ Solidarleistungen, die im Vorfeld ausgehandelt und dann je nach Branche und Unternehmensgröße aufgeteilt werden. Seit 2008 werden so jährlich 18 Millionen Euro überwiesen. Weil sich der Hauptverband der Sozialversicherungsträger nicht mit den Branchenvertretern auf einen neuen Abschlag einigen konnte, wurde jetzt ein Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ein Zwangsrabatt festgeschrieben werden soll.
Konkret geht es um einen Betrag von 125 Millionen Euro. Industrie und Großhandel bieten 100 Millionen Euro. Für 2017 und 2018 wurden jeweils noch einmal 30 Millionen Euro in die Waagschale gelegt, plus jeweils 10 Millionen Euro bei einem Ausgabenwachstum um mehr als 4, 5 beziehungsweise 6 Prozent.
Um Druck in die Verhandlungen zu bringen, hatte der Hauptverband bereits angekündigt, den neuen Erstattungskodex ab 2017 alleine zu erarbeiten. Damit waren das Tischtuch zerschnitten. Von einer „Attacke auf die soziale Marktwirtschaft“ sprach Dr. Jan Oliver Huber, Generalsekretär des Pharmaverbands Pharmig. Man werde den Entwurf bekämpfen. Die Kassen kritisierte er dafür, sich unter Vorspielung falscher Tatsachen ein Gesetz schreiben zu lassen, dass das Machtmonopol des Kassenverbandes festschreibe.
Die Belastung für die Industrie sei unverhältnismäßig, die vorgesehenen Steuerungsinstrumente untauglich. Arbeitsplätze und Investitionen könnten wegfallen, warnte der Verbandschef. Huber verwies auf die jüngste Studie, mit der sein Verband gemeinsam mit Apothekern und Großhändlern nachgewiesen habe, dass die Arzneimittelpreise in Österreich unter dem EU-Durchschnitt liegen. Mit dem Abschlag, der je nach Arzneimittelgruppe bei 3, 7 oder 15 Prozent liege, würden Innovationen bestraft. Daher sei zu erwarten, dass gerade neue Präparate vom Markt genommen würden.
Dann spielte Huber den Ball zurück ins Feld der Kassen: Der Hauptverband plane nach Medienberichten eine Modernisierung seines Bürogebäudes in Wien – ob dafür die Zwangsabschläge verwendet werden sollten? Er findet die Investition unnötig: „Die Türen gehen auf und zu, die Telefone funktionieren und die Lifte auch.“ Aus den geplanten 25 Millionen Euro könnten laut Huber am Ende schnell 50 bis 70 Millionen Euro werden.
Und dann noch die strukturellen Baustellen: Laut Huber gibt es mehr als 150 Einrichtungen, die von den 22 Kassen des Landes betrieben werden – Kliniken, Kuranstalten, Ambulatorien. Insgesamt sind dem Pharmachef zufolge die Bilanzen mit Verlusten von jeweils rund 800 Millionen in den vergangenen drei Jahren tiefrot. „Hier sind Parallelstrukturen entstanden, die dem niedergelassenen Bereich Konkurrenz machen und die in ihrer Sinnhaftigkeit nicht hinterfragt werden.“
Hubers Einlassungen kommen nicht von ungefähr: Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) hatte bereits im Juni vorgeschlagen, dass besonders teure Mittel nur noch in Fachambulanzen abgegeben werden sollten. An chronisch Kranke würde die Kasse Medikamente am liebsten direkt abgeben.
Als Ursache für das Defizit haben die Kassen die steigende Arbeitslosigkeit auf der Einnahmen- und die steigenden Arzneimittelpreise auf der Ausgabenseite ausgemacht. Für 2015 rechnet man in Wien mit einem Plus bei den Medikamentenkosten von 7,2 Prozent, doppelt soviel wie im Vorjahr. Grund ist laut Peter McDonald, Chef des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, die „aggressive Preispolitik“ einiger Pharmafirmen.
APOTHEKE ADHOC Debatte