Corona-Krise

Österreich macht Handel dicht dpa, 13.03.2020 12:10 Uhr aktualisiert am 13.03.2020 15:08 Uhr

Nur die Apotheke bleibt? In Österreich könnten Geschäfte und Lokale dicht gemacht werden. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Die österreichische Regierung schließt im Kampf gegen das Coronavirus für zunächst eine Woche viele Geschäfte und stellt zudem Gebiete in Tirol unter Quarantäne. „Diese Gebiete werden ab sofort isoliert“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitag in Wien. Ausländische Gäste dürften aber noch ausreisen, ergänzte Innenminister Karl Nehammer. Flugverbote gelten nun auch für den Luftverkehr von und nach Frankreich, Spanien und die Schweiz.

Außerdem sollen Lokale und Restaurants ab Montag nur noch bis 15 Uhr öffnen dürfen. Lebensmittelmärkte, Apotheken, Banken, Drogeriemärkte, die Post und weitere essenzielle Geschäfte dürfen weiterhin öffnen. Auch an der Grenze zur Schweiz werden künftig Kontrollen durchgeführt ähnlich denen an der österreichisch-italienischen Grenze. Die sozialen Kontakte sollen in der Alpenrepublik so auf ein Minimum reduziert werden.

„Österreich wird nicht auf Dauer aber doch auf Zeit auf Minimalbetrieb herunterfahren“, sagte Kurz. „Wir sind als Republik Österreich ein Team. Ein Team, in dem jeder seinen Beitrag zu leisten hat – gerade in einer herausfordernden Situation.“ Von derzeit 6600 getesteten Menschen sind 432 nach Angaben von Gesundheitsminister Rudolf Anschober mit dem neuen Coronavirus infiziert. In der Nacht auf Donnerstag gab es zudem den ersten Todesfall eines mit dem neuen Coronavirus Infizierten in der Alpenrepublik.

Mit 141 bestätigten Fällen ist vor allem das Bundesland Tirol in Österreich stark vom Ausbruch des Coronavirus betroffen. Als ein
Zentrum der Verbreitung stellte sich zuletzt der beliebte Wintersportort Ischgl im Paznauntal heraus. Die Menschen in diesen Gebieten hätten ein ganz besonderes Risiko, sagte Kurz. Österreich stellte am Freitag das Paznauntal und die Gemeinde St. Anton
am Arlberg, die beide in Tirol liegen, unter Quarantäne.

Es ist bereits das dritte Mal innerhalb weniger Tage, dass die österreichische Regierung drastische Maßnahmen zum Kampf gegen das Virus verkündet. Am Dienstag hatte Kurz zunächst Kontrollen an der Grenze zu Italien angeordnet, die seit Mittwoch durchgeführt werden. Seitdem ist die Einreise von Italien aus deutlich erschwert, am Brenner bildeten sich dadurch zeitweise kilometerlange Staus. 47 kleinere Grenzübergänge wurden inzwischen komplett geschlossen.

Zudem wurden Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit mehr als 100 Teilnehmern und im Freien mit mehr als 500 Teilnehmern für die kommenden Wochen untersagt. Zahlreiche Konzerte und Aufführungen wurden daher abgesagt, die meisten Museen geschlossen und der Spielbetrieb etwa der Fußball-Bundesliga vorerst ausgesetzt. Spätestens ab Montag findet an sämtlichen Universitäten und Hochschulen kein Lehrbetrieb mehr statt. Am Mittwoch teilte Kurz dann mit, dass ab kommender Woche auch sämtliche Schulen den Unterricht einstellen müssen.

„Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Auch für mich persönlich war diese Entscheidung sehr schwer. Aber diese
Entscheidungen sind alternativlos», sagte Tirols Landeschef Günther Platter am Freitag in Innsbruck. «Es geht um die Gesundheit der Menschen in unserem Land. Es braucht jetzt in unserem Land Solidarität, es braucht Zusammenhalt. Das packen wir gemeinsam.“

In Italien wurden bereits alle Geschäfte bis auf Apotheken und Supermärkte geschlossen. Auch hierzulande könnte es irgendwann solche drastischen Maßnahmen geben.

Laut Professor Dr. Eric Sucky und Dr. Björn Asdecker vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik, an der Universität Bamberg stellt das Coronavirus den Handel schon jetzt vor große Herausforderungen: „Durch die spontanen Hamsterkäufe der vergangenen Wochen ist es für Händler derzeit sehr schwierig, ihren Warenbedarf zu kalkulieren“, erklärt Sucky die aktuelle Situation. „Die erhöhten Schwankungen der Bedarfsverläufe, die so nicht zu prognostizieren waren, verursachen einen beachtlichen zusätzlichen Koordinationsaufwand, um die Warenverfügbarkeit zu gewährleisten.“

Außerdem rechnet Asdecker in den kommenden Wochen mit Lieferengpässen und steigenden Einkaufspreisen. Sollte nun zusätzlich zu diesen Belastungen eine Schließung der Geschäfte drohen, könnte dies zu existenziellen Problemen für stationäre Händler führen. „Durch den intensiven Wettbewerb untereinander und insbesondere mit dem Onlinehandel ist die Lage für den niedergelassenen Einzelhandel auch ohne Corona angespannt. Ein Blick in die deutschen Innenstädte reicht, um zu erkennen, dass sich die Anzahl der Geschäftsaufgaben häufen“, so Asdecker. „Bei dieser Ausgangslage könnte das Coronavirus für die verbliebenen Händler zu einer echten Gefahr werden. Dies sollte man bei der Diskussion möglicher Wirtschaftshilfen unbedingt berücksichtigen.“

Gleichzeitig ergeben sich aus der aktuellen Krise aber auch Chancen. Diese sieht Asdecker insbesondere für den Onlinehandel. „Die Reduktion von Sozialkontakten wird dazu führen, dass große Bevölkerungsteile in den kommenden Tagen und Wochen vermehrt Zeit im Internet verbringen und dort auch bestellen. Dies wird neue Kundengruppen erschließen.“ Zwar werden der Onlinehandel und die Zustellbranche nicht vom Coronavirus verschont bleiben. Gleichwohl lasse sich das Geschäftsmodell aufgrund des minimalen persönlichen Kontakts im Krisenfall grundsätzlich aufrechterhalten und könne deshalb einen wichtigen Versorgungsbeitrag leisten.

Eine besondere Gelegenheit ergibt sich nach Meinung von Asdecker für den Lebensmittel-Onlinehandel. Bislang kaufen Kunden Lebensmittel nur sehr selten im Internet. Laut der Studie „Tradedimensions“ des Marktforschungsunternehmens Nielsen zeichnen Lebensmittel für Einzelhandelsumsätze in Höhe von 205,7 Milliarden Euro verantwortlich. Davon werden bislang nur 1,6 Milliarden Euro im Internet erzielt. Dies entspricht weniger als 1 Prozent. „Wenn es die Lebensmittel-Onlinehändler in den kommenden Wochen schaffen, ihre Ausliefernetzwerke aufrechtzuerhalten, könnte das für dieses schwierige Marktsegment einen Durchbruch darstellen und dem Onlinehandel langfristig zu weiterem Wachstum verhelfen“, schlussfolgert Asdecker.