Wie viel ist die Arzneimittelversorgung durch Apotheken wert? Dieser fundamentalen Frage geht die österreichische Unternehmensberatung Kreutzer Fischer & Partner (KFP) in einem volkswirtschaftlichen Gutachten nach. Fazit: Jede zweite Apotheke sollte durch selbstdispensierende Ärzte ersetzt werden. Die Zurückbleibenden sehen die Ökonomen als Lückenbüßer für Leistungen, die die Praxen nicht erbringen können oder wollen.
Pro Jahr könnten 180 Millionen Euro gespart werden, wenn jede zweite der 1328 Apotheken in Österreich zugesperrt und „in den Wirkungsbereich der niedergelassenen Ärzte rückintegriert“ würde, heißt es im Gutachten. Als Vorbild dienen die 870 Hausapotheken, in denen Ärzte direkt Medikamente an ihre Patienten abgeben.
80 Millionen Euro brächte die „Sozialisierung der Apotheken-Gewinne“, rechnen die Gutachter vor: Der niedergelassene Arzt mit Praxisapotheke brauche nicht die volle Gewinnmarge des Apothekers von 8 Prozent beziehungsweise 220.000 Euro vor Steuern, sondern nur die Hälfte.
Weitere 100 Millionen Euro ergäben sich aus den Synergien auf der Ausgabenseite: Bei den Sachaufwendungen könnte etwa Miet- und Mietnebenkosten reduziert werden sowie Ausgaben für Hard- und Software und schließlich Beratungskosten. Was das Personaltableau angeht, würden die Gutachter ausschließlich bei Hilfskräften und in der Verwaltung sparen. „Wir wollen ja nicht, dass die Qualität der Versorgung schlechter wird“, sagt Firmenchef Andreas Kreutzer.
Seiner Meinung nach sind Qualitätseinbußen bei dem vorgeschlagenen Systemwechsel unwahrscheinlich: „Der Job in den öffentlichen Apotheken wird bereits heute zum überwiegenden Teil von angestellten Mitarbeitern erledigt, die genauso gut in einer 'Arzt-Apotheke' arbeiten können.“ Er sieht sogar die Chance, dass die Versorgung besser werden könnte, wenn die Kunden nicht erst noch in die Apotheke fahren müssten, um ihre Medikamente zu bekommen.
Dass 600 Apothekenleiter ihren Job nicht verlieren wollen, sieht Kreutzer ein. „Aber ist uns die Rücksichtnahme auf Partikularinteressen 180 Millionen Euro wert?“ Die Apotheken seien bislang weitgehend ungeschoren davon gekommen; neben den Rauchfangkehrern zählen sie zu den ganz wenigen geschützten Branchen im Land. Weil der Markt nach wie vor weitgehend vor zu starker Konkurrenz abgeschottet sei, gehe es kommod oder sogar gemütlich zu. „Dementsprechend üppig sind auch nach wie vor die Erträge.“
Interessenkonflikte bei den dispensierenden Medizinern sieht Kreutzer nicht: „Ich glaube nicht, dass Ärzte mehr oder weniger verschreiben würden, wenn sie die Medikamente auch gleich abgeben.“ Das Argument, dass nur die Apotheker die Gesamtmedikation im Blick haben könnten, hält er für vorgeschoben: „Die Apotheker haben doch kaum Informationen darüber, was der Patient tatsächlich nimmt.“
Nach seinen Erkenntnissen werden derzeit nur 0,5 Prozent aller Patienten pro Tag in der Apotheke übergreifend beraten. „Das ist lächerlich.“ Medikationsgespräche dürften aus seiner Sicht auch nicht am HV-Tisch, sondern bestenfalls in einem separaten Beratungsraum stattfinden. Und auch dann sei ein Medikationsmanagement in der Apotheke nur sinnvoll, wenn Patienten der Erhebung und zentralen Erfassung der erforderlichen Daten nicht widersprechen könnten. Alle derzeitigen Ansätze diesbezüglich seien „nicht glaubwürdig“.
Die Apotheken, die vom Kahlschlag verschont bleiben, sollen laut Kreutzer „Spezialmedikamente anrühren“ und Langsamdreher abgeben: „10 Prozent der Medikamente machen 70 Prozent der Menge aus“, erklärt Kreutzer. „Diese gängigen 2000 Präparate kann der Hausarzt im Regelfall also ohne Probleme mitgeben.“
Kreutzer fordert weitere Maßnahmen, die die „Convenience für den Patienten liegen und nicht die finanzielle Absicherung der weniger als 1500 Apotheker“ im Blick haben: Abschaffung der Bedarfsprüfung, Aufhebung von Fremd- und Mehrbesitzverbot, Lockerung der Öffnungszeiten, zentrale Notdienstapotheken, Freigabe der OTC-Präparate für den Drogeriehandel. „Es widerspricht jeglicher Logik, dass etwa Vitamin C-Produkte in den USA in Selbstbedienung erhältlich sind, während bei uns der Verkauf den Apotheken vorbehalten ist, wo einschlägige Produkte in den überwiegenden Fällen ohne Beratung und Abklärung von möglichen Nebenwirkungen über den Ladentisch gehen.“
Im Dezember soll das Gutachten veröffentlicht werden. Einen Auftraggeber gab es laut Kreutzer nicht; Quellen waren Zahlen der Apothekerkammer sowie von Statistik Austria und einer Steuerberatung für Apotheken.
Die Apothekerkammer reagierte mit einem Leserbrief an die Tageszeitung „Die Presse“, die unter der Überschrift „Wann fällt das Apotheken-Monopol?“ exklusiv vorab über das Gutachten berichtet hatte. Die Apotheken schafften Arbeitsplätze und versorgten die Bevölkerung umfassend und kompetent mit Arzneimitteln. Alleine die Nachtdienste kosteten die Inhaber 33 Millionen Euro jährlich.
Die Studie berücksichtige kein einziges dieser wichtigen Wertschöpfungsargumente. „Viel schlimmer noch, die Studienautoren glauben tatsächlich die Arzneimittelkosten würden sich senken, verzichte man auf die Leistung der Apotheken.“ Tatsächlich sei das Gegenteil der Fall: In allen liberalisierten Ländern seien die Arzneimittelkosten drastisch gestiegen. Österreich weise im europäischen Vergleich einen niedrigen Arzneimittelpreis auf, die Apothekenspanne liege sogar unter dem Durchschnitt der EU25.
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