Österreich

Gericht stoppt Apotheken-Glücksritter

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Berlin -

Wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil spricht, dann zittern die Betroffenen in den Mitgliedstaaten. Kippt eine wichtige Regelung? Ändern sich die Spielregeln von jetzt auf gleich? In Österreich hofften einige Apotheker, vom Luxemburger Richterspruch zur Bedarfsplanung zu profitieren. Doch der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) kassierte jetzt die erste Erlaubnis wieder, die nach dem EuGH-Urteil erteilt worden war.

Im Februar 2014 hatte der EuGH entschieden, dass die österreichische Bedarfsplanung in der bestehenden Form unrechtmäßig ist: Eine starre Existenzsicherungsschwelle für die umliegenden Apotheken, wie sie das österreichische Recht vorsah, widersprach aus Sicht der Richter dem Unionsrecht. Es müsse Ausnahmeregelungen geben, die ein Abweichen erlaubten.

Seit dem Urteil hatte der VGH als oberste Instanz in zehn Fällen zur Bedarfsplanung entschieden – ohne jemals Ausnahmen in Erwägung gezogen zu haben. Im vergangenen Jahr überarbeitete die Regierung das Apothekengesetz (ApoG) und erlaubte ein Abweichen von der Zahl der zu versorgenden Personen „in ländlichen und abgelegenen Regionen auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse“. So hatte man das Urteil aus Luxemburg in Wien verstanden.

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (VG) rief dagegen im Streit um eine neue Apotheke erneut den EuGH an und wollte wissen, ob eine solche Beschränkung auf ländliche Gegenden angemessen sei. Als im Juni vergangenen Jahres die Klarstellung aus Luxemburg kam, erteilte das Gericht dem Apotheker aus Leonding bei Linz einen Freibrief, sein Einzugsgebiet wie gewünscht zu erweitern und damit im zweiten Schritt seine Apotheke zu verlagern. Parallel kamen ein halbes Dutzend weitere Verfahren neu in Schwung.

Jetzt hat der VGH die erste Entscheidung wieder kassiert: Dass die Bedarfsplanung einfach zu verwerfen sei, lasse sich aus dem EuGH-Urteil keineswegs ableiten – im Gegenteil hätten die Richter Niederlassungsbeschränkungen im Grundsatz für zulässig erklärt.

Außerdem seien vorschnelle Entscheidungen keinesfalls angebracht: Es gebe ein „erhebliches öffentliches Interesse an der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des nationalen – in seiner konkreten Ausgestaltung unionsrechtswidrigen – Regelungsregimes während der Dauer einer für die Neuregelung erforderlichen Übergangszeit“, so der VGH. Daher könne sich auch niemand auf Inländerdiskriminierung berufen. Dies gelte umso mehr, als der Gesetzgeber innerhalb von sechs Monaten nachgebessert habe, so die Richter mit Verweis auf die erneute Überarbeitung des ApoG aus dem Dezember.

Damit muss das VG nun erneut über den Fall entscheiden und diesmal auch die neu geregelte Bedarfsplanung berücksichtigen. Praktische Konsequenzen gibt es nicht, denn die Apothekerkammer hatte die umstrittene Verlagerung des Apothekenstandorts zunächst auf Eis gelegt. Auch verschiedene andere Verfahren, die bereits vor dem VGH gelandet sind, werden nun an die Gerichte zurückgehen und unter neuen Vorzeichen verhandelt werden.

Die spannende Frage, wann ein Abweichen von den Vorgaben gerechtfertigt ist, muss erst noch beantwortet werden. Das könnte eine zähe Angelegenheit werden, da jeder Einzelfall im Zweifel höchstrichterlich geprüft werden müsste. Derzeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte, was eine solche Ausnahme rechtfertigen könnte. Und im Sinne des Systems müsste die Justiz eine rote Linie finden. Aber genau das sei ja vom EuGH gewollt gewesen, heißt es lakonisch aus der Apothekerkammer.

In Österreich darf nach wie vor eine Apotheke nur dann eröffnet werden, wenn es einen Bedarf gibt. Dieser wird in einem Verfahren geprüft und unter anderem dadurch definiert, dass der Abstand zur nächsten Apotheke mindestens 500 Meter beträgt. Außerdem darf die Zahl der Kunden der bereits bestehenden Apotheken in der Umgebung nicht unter 5500 Personen sinken – hier gilt die neue Ausnahmeregelung, „wenn es auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken geboten ist“.

Eigentlich hatten die Apotheker gehofft, demnächst eine weitere Revision des ApoG über die Bühne zu bekommen, doch mit dem Bruch der Koalition ist dies in weite Ferne gerückt. Viele technische Details müssen geklärt werden, darunter Regelungen zu Haus- und Filialapotheken.

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