Wann ist es gerechtfertigt, bestehenden Apotheken die verbriefte Existenzgrundlage zu entziehen? Mit dieser schwierigen Frage werden sich in Österreich künftig Verwaltung und Gerichte beschäftigen müssen. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) fordert in bestimmten Fällen Ausnahmen von den Kriterien der Bedarfsplanung – welche das sind, verrät er nicht.
Mit der Bedarfsplanung für Apotheken hat sich der EuGH schon mehrfach befasst – und es den Mitgliedstaaten nicht leicht gemacht: Im Grundsatz haben die Richter in Luxemburg kein Problem mit der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, sofern sie der gleichmäßigen Verteilung der Apotheken im Land dient. Allzu einfach machen dürfen es sich die Länder aber nicht.
In Österreich darf eine Apotheke nur dann eröffnet werden, wenn es einen Bedarf gibt. Dieser wird unter anderem dadurch definiert, dass die Zahl der zu versorgenden Einwohner und Pendler für die bereits bestehenden Apotheken in der Umgebung von vier Straßenkilometern nicht unter 5500 Personen sinkt. Außerdem muss der Abstand zur nächsten Apotheke mindestens 500 Meter betragen. Schließlich darf es keine ärztliche Hausapotheke in der Gemeinde geben, sofern nicht mindestens zwei Allgemeinmediziner am Ort praktizieren.
Bereits im Februar 2014 hatte der EuGH entschieden, dass die österreichische Bedarfsplanung in der bestehenden Form unrechtmäßig ist: Eine starre Existenzsicherungsschwelle für die umliegenden Apotheken widerspricht aus Sicht der Richter dem Unionsrecht. Es müsse Ausnahmeregelungen geben, die ein Abweichen erlaubten.
Seit dem Urteil hatte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) als oberste Instanz in zehn Fällen zur Bedarfsplanung entschieden – ohne jemals Ausnahmen in Erwägung gezogen zu haben. Anfang Juni hat die Regierung schließlich nach langer Verzögerung das Apothekengesetz überarbeitet und ein Abweichen von der Zahl der zu versorgenden Personen „in ländlichen und abgelegenen Regionen auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse“ erlaubt. So hatte man das Urteil aus Luxemburg in Wien verstanden.
In Linz war man sich dagegen nicht sicher, ob diese Einschränkung tatsächlich im Sinne des Urteils ist: Bereits im vergangenen Jahr rief das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (VG) im Streit um eine neue Apotheke daher erneut den EuGH an. Nachdem die erste Anfrage zu dem Thema ungeschickterweise zu allgemein gehalten und für weitere Entscheidungen damit nicht verwertbar war, erkundigten sich die Richter aus Linz im zweiten Anlauf, ob eine Beschränkung auf ländliche Gegenden angemessen ist.
Die Richter in Luxemburg waren sichtlich genervt von der neuerlichen Vorlage aus Österreich und dem ganzen Geschacher überhaupt: Aus dem bereits ergangenen Urteil in der Sache könne die Antwort auf die Vorlagefrage „klar abgeleitet werden“, heißt es im Beschluss. Und dann noch einmal ausführlich und verständlich: Mit dem Hinweis auf ländliche oder abgelegene Regionen sowie Menschen mit eingeschränkter Mobilität habe man die Probleme der strittigen Regelung aufzeigen, jedoch keineswegs die Beurteilung auf diese Art von Regionen und auf diese Kategorie von Personen begrenzen wollen, so die Richter in Luxemburg.
Heißt im Klartext: Österreich muss nun Ausnahmeregelungen finden, die sich in allen Konstellationen anwenden lassen, ohne das System der Bedarfsplanung ad absurdum zu führen.
„Die Bedarfsregelung und die dadurch resultierende flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und Gesundheitsdienstleistungen ist ein österreichisches Erfolgsmodell und hat sich seit Jahrzehnten bewährt“, kommentierte Kammerpräsident Max Wellan. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Apotheker erreiche in allen Studien Spitzenwerte. „Leistungsfähige Apotheken – die dort sind, wo die Menschen sie brauchen – sind dafür Voraussetzung. Der Fortbestand der Bedarfsregelung sei im Hinblick auf die gute, flächendeckende Versorgung erforderlich und sinnvoll.
Der EuGH hatte bereits 2009 die Bedarfsplanung in Asturien als unzulässig kritisiert: Der damalige Mindestabstand von 250 Metern zwischen zwei Apotheken sowie eine Bevölkerungszahl von mindestens 2800 Einwohnern pro Apotheke war den Richtern zu pauschal, um eine gleichmäßige Versorgung zu gewährleisten. Auch beim italienischen Modell wurde 2011 das vorlegende Gericht beauftragt, die Vorgaben auf hinreichende Ausweichmöglichkeiten zu prüfen.
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