Apotheken müssen mit Konkurrenz leben – zumindest wenn es die Umstände erfordern. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) fordert von Österreich Ausnahmen vom System der Bedarfsplanung; wie diese aussehen könnten, verraten die Richter nicht. Mag. Rainer Prinz, Justiziar und stellvertretender Direktor der Österreichischen Apothekerkammer (ÖAK), erklärt im Interview mit APOTHEKE ADHOC, warum er keinen Grund für Panik sieht, sich aber trotzdem Sorgen macht.
ADHOC: Nach dem EuGH-Urteil: Hält das Modell der Bedarfsprüfung?
PRINZ: Hier herrscht nicht die ganze große Aufregung. Ich denke, das bekommen wir in den Griff. Allerdings befürchte ich, dass die Frage, wann besondere örtliche Gegebenheiten vorliegen, die Ausnahmen vom bisherigen Bedarfsprüfungssystem rechtfertigen, von den Gerichten in vielen Einzelfällen entschieden werden muss.
ADHOC: Verstehen Sie die Kritik der EU-Richter?
PRINZ: Nein. Es gibt nirgendwo in Österreich einen Versorgungsmangel. Die Apotheken sind in Österreich bedarfsgerecht verteilt, 94,3 Prozent der österreichischen Bevölkerung können die nächste Apotheke innerhalb von zehn Minuten erreichen. Zusätzlich stehen ärztliche Hausapotheken für die Versorgung der Patienten der hausapothekenführenden Ärzte zur Verfügung. Für mmobile Personen besteht auch die Möglichkeit der Zustellung durch Apotheken.
ADHOC: Wird das Urteil positive Auswirkungen haben?
PRINZ: Das Urteil wird bei besonderen örtlichen Gegebenheiten neue Apotheken ermöglichen und daher das Bedarfsprüfungssystem flexibler gestalten. Diese Flexibilität kann man positiv sehen.
ADHOC: Das heißt?
PRINZ: Es gibt Städte, wo sich die Apotheken auf Grund der historischen Entwicklung in der Innenstadt konzentrieren, aber in Wohngebieten außerhalb des Zentrums die Errichtung neuer Apotheken bisher gesetzlich nicht möglich war. Diese Apotheken genießen künftig weniger Schutz und stehen wahrscheinlich vor der Entscheidung, an bedarfsgerechtere Standorte zu verlegen.
ADHOC: Mit welchen negativen Auswirkungen rechnen Sie?
PRINZ: Mich beunruhigt die Aussicht, dass es gerechtfertigt sein soll, durch Neugründungen bestehende Apotheken in ihrer Existenz zu gefährden. Diese versorgen schließlich auch Patienten. Wer entscheidet hier, welche Patientengruppe Vorrang hat? Der EuGH hat das meines Erachtens nicht ausreichend berücksichtigt.
ADHOC: Inwiefern?
PRINZ: Wir sind das einzige Land in Europa, das vorrangig negative Niederlassungskriterien hat: Bei uns wird nicht geprüft, wie viele Personen die neue Apotheke versorgt, sondern ob die bestehenden Apotheken weiter existieren können. Dieses System beruht auf einer Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, der positive Bedarfskriterien in Form einer Personenzahl für die neue Apotheke als zu großen Eingriff in die Erwerbsfreiheit erachtet.
ADHOC: Wie könnten die geforderten Ausnahmen aussehen?
PRINZ: Ich halte eine Verschriftlichung für schwierig, weil wir dann schnell in Kasuistiken landen, die dann doch nicht alle Fälle abbilden. Wünschenswert wäre es, wenn der Gesetzgeber einen Katalog von Kriterien festlegt. Diese sollten den Behörden eine Beurteilung ermöglichen, ob besondere örtliche Gegebenheiten vorliegen, die für die bestehenden Apotheken eine Unterschreitung der Existenzsicherungsschwelle von 5500 Personen rechtfertigen.
ADHOC: Ist die Zahl von 5500 zu versorgenden Personen pro Apotheke noch zeitgemäß?
PRINZ: Mehr als je zuvor. Selbst wenn in der Vergangenheit die Zahl von 5500 Personen verglichen mit anderen Ländern hoch war: In Zeiten steigender Anforderungen an die Apotheken und sinkender Margen sind wir froh, dass wir starke Versorgungseinheiten haben. Leistungsschwache Kleinbetriebe können schnell zum Problem werden und würden den Bedürfnissen und berechtigten Erwartungen der Bevölkerung nicht gerecht.
APOTHEKE ADHOC Debatte