Österreich

Mehr als 400.000 unfreiwillige Versuchskaninchen?

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Berlin -

In Österreich sind an mehr als 400.000 Patienten schon zugelassene Medikamente noch einmal getestet worden – oft ohne deren Wissen, geschweige denn Einwilligung. Das berichtet der ORF. Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) will Reformen und sich dafür mit Ärztekammer und Pharmaindustrie zusammensetzen.

In Anwendungsstudien werden bereits auf dem Markt erhältliche Arzneimittel noch einmal getestet. Doch die Untersuchungen hätten kaum einen wissenschaftlichen Wert, meint Gerald Gartlehner von Cochrane, einem Netzwerk von Wissenschaftlern. „Diese Anwendungsstudien sind zum Großteil ein Marketinginstrument der Industrie“, sagte er im Morgenjournal des Radiosenders Ö1.

Mehr als 400.000 Menschen hätten in den vergangenen sechs Jahren daran teilgenommen, errechnete die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Die Patienten wüssten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, dass ihre Daten aufgenommen und weitergegeben werden, sagte Claudia Wild von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft dem Sender. „Zum Zweiten wissen sie hundertprozentig nicht, dass ihre Ärzte dafür ein Honorar bekommen.“

In Deutschland können sich die Honorare – je nach Beobachtungsdauer und Medikamentenkosten – auf bis zu 4000 Euro pro Person summieren. In Österreich würden weder Honorarhöhen noch teilnehmende Ärzte veröffentlicht, so der ORF. Die Durchführung der Studien sei behördlich geregelt, die Ärzte bekämen ein dem Mehraufwand angemessenes Honorar, ließ der Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) verlauten.

Gesundheitsministerin Rendi-Wagner will Änderungen: Sie werde sich dazu mit allen Beteiligten zusammensetzen, kündigte die Sozialdemokratin in einer Stellungnahme an. „Es freut mich sehr, dass es jetzt auch positive Signale aus der Ärztekammer und der Pharmaindustrie gibt, das war vorher nicht der Fall.“ Ob es so schnell zu Reformen kommt, ist zumindest fraglich: Im Oktober finden in Österreich Parlamentswahlen statt.

Das große Nachbarland Deutschland gilt als Hotspot für Arzneimittelstudien. Nur in den USA werden noch mehr klinische Studien von Pharmaunternehmen durchgeführt als hierzulande. Nach Angaben des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) liegt Deutschland mit einer Beteiligung an 532 Studien, die im vergangenen Jahr begonnen wurden, deutlich vor Großbritannien mit 499 und Frankreich mit 390.

Die Bandbreite der Tests reicht dabei von ambulanten Studien für 50 Euro bis zu mehrwöchigen Klinikaufenthalten, für die Probanden schon mal bis zu 6000 Euro erhalten. Die Tests sind ein gewaltiger Markt. Nach eigenen Angaben investieren Pharmaunternehmen in Deutschland etwa 5,8 Milliarden Euro pro Jahr in Laborforschung und klinische Studien.

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