dm: Verfassungsklage gegen Apothekenpflicht APOTHEKE ADHOC, 01.03.2016 12:07 Uhr
dm greift in Österreich die Apothekenpflicht für rezeptfreie Arzneimittel an. Die Drogeriekette sieht sich durch das Arzneimittelgesetz (AMG) direkt benachteiligt und hat vor dem Verfassungsgerichtshof (VFGH) einen sogenannten Individualantrag gestellt. Das Unternehmen verweist auf den seit Juni zugelassenen Versandhandel: Auch Drogerien könnten pharmazeutische Beratung per Telefon oder Internet anbieten. Kammerpräsident Max Wellan warnt dagegen vor unkontrollierten Vertriebswegen und Lockangeboten.
Seit knapp einem Jahr dürfen österreichische Versandapotheken landesweit OTC-Präparate verschicken. Anbieter aus dem EU-Ausland war der Versand von in Österreich zugelassenen Arzneimitteln bereits seit 2003 erlaubt. Laut dm könnten auch Drogerien „jegliche speziellen Anforderungen beispielsweise an Logistik oder Lagerung“ erbringen.
Die Kette hält die Apothekenpflicht für OTC-Präparate für verfassungswidrig. Die rechtliche Ungleichbehandlung von Drogerie und Apotheke sei sachlich nicht begründet. Nur der Wunsch des Kunden nach einer pharmazeutischen Beratung per Telefon oder Internet könne eine Bedingung für den Verkauf von rezeptfreien Arzneimitteln sein.
Der Verkauf von Arzneimitteln außerhalb von Apotheken ist in Österreich streng geregelt. Aktuell dürfen vor allem pflanzliche Präparate sowie Arzneitees angeboten werden. Die Produkte müssen jedoch unter Verschluss stehen und dürfen nur von ausgebildeteten Drogisten verkauft werden. „Heute sind nur mehr kleine, unbedeutende Randbereiche der rezeptfreien Arzneimittel für die Drogerie zugelassen“, kritisiert dm-Geschäftsführer Harald Bauer. dm fordert bereits seit Jahren eine Liberalisierung des Marktes. Eine Existenzgefährdung für Apotheke gebe es dadurch nicht.
Mit dem grundsätzlichen Verbot von rezeptfreien Arzneimitteln außerhalb der Offizin soll die Gesundheit von Patienten geschützt werden. Drogerien können laut dm aber wie Apotheken sicherstellen, dass die Menge der pro Person abgegebenen OTC-Präparaten dem üblichen persönlichen Bedarf entspricht. Die Qualität könne bei Verkauf in Drogerien im Vergleich zum Versandhandel sogar besser sein, da kein risikoreicher Transport „durch meist nicht spezialisierte Zusteller“ vorliege.
OTC-Präparate würden bereits heute in Apotheken „ohne Weiteres an jeden, der sie verlangt, abgegeben“, sagte Rechtsanwalt Dr. Walter Schwartz, der die Drogeriekette vertritt. Eine Prüfung oder ein Beratungsgespräch sei in der Praxis keineswegs selbstverständlich. Zudem unterlägen potenziell gesundheitsgefährdende Arzneimittel ohnehin der Rezeptpflicht.
Der Gesetzgeber müsse nicht nur die Kosten der Krankenkassen im Blick haben, sondern auch Strukturen beseitigen, die die Kunden unnötig belasteten, so Bauer. Verbraucher zahlten für das Apotheken-Monopol. Apotheken hätten kein Interesse, Generika zu empfehlen, da sich bei der Abgabe auch der feste Aufschlag auf den Herstellerabgabepreis reduziere. dm habe das Preisniveau von Drogerieartikeln in den vergangenen 40 Jahren zugunsten von Verbraucher deutlich gesenkt.
Wellan lehnt eine Ausweitung der Vertriebswege strikt ab: „Medikamente gehören in die Apotheke“, sagte der Kammerpräsident. Bei falscher Anwendung könne jedes Arzneimittel zu gesundheitlichen Problemen führen. dm wolle OTC-Präparate verkaufen, um den Umsatz anzukurbeln. Der Vorstoß, rund 200 Arzneimittel anbieten zu wollen, sei „reinste Rosinenpickerei“. Der Antrag vor dem VFGH werde keinen Erfolg haben.
Das Ziel der Arzneimittelversorgung sei eine Optimierung in der Einnahme und keine Maximierung, so Wellan. Kranke Menschen sollten so viele Arzneimittel wie notwendig, aber so wenige wie möglich einnehmen. Österreichischen Apothekern gelinge dies vorbildhaft: Der Arzneimittelkonsum liege im Land unter dem europäischen Schnitt.
Der vernünftige Umgang mit Arzneimittel gehe auch darauf zurück, dass sie „nicht im Supermarkt einfach aus dem Regal genommen, sondern in Apotheken mit Beratung abgegeben werden.“ Unkontrollierte Verkaufskanäle, Lockangebote und der „gute Glaube“ von Konsumenten führten zudem zu einem massiven Anstieg bei Arzneimittelfälschungen.