Container-Praxis statt Land-Apotheke Julia Pradel, 30.01.2016 08:31 Uhr
In abgelegenen Tälern Österreichs dürfen Ärzte Arzneimittel abgeben. Als Notlösung für unterversorgte Gebiete gedacht, entwickelt das Konzept eine seltsame Eigendynamik. Denn inzwischen sind die Hausapotheken zur wichtigen Einnahmequelle für die Landärzte geworden. Damit ein Mediziner in Ruprechtshofen nicht auf sein Dispensierrecht verzichten muss, wird nun eine Container-Praxis auf der grünen Wiese gebaut – mehr als fünf Kilometer vom Ortskern entfernt.
2006 wurde das österreichische Arzneimittelgesetz überarbeitet. Seitdem dürfen Ärzte nur noch dann eine eigene Hausapotheke führen, wenn die nächste öffentliche Apotheke mehr als sechs Kilometer entfernt ist. Ärzte, die bereits Arzneimittel abgegeben haben, behalten dieses Recht – bis sie ihre Praxis abgeben.
In Ruprechtshofen gibt es seit Mitte des vergangenen Jahres keine Ärztin mehr. Dr. Angelika Fichtenberg, die die Ordination 2011 von ihrem Vorgänger übernommen hatte, durfte schon keine Hausapotheke mehr führen. Dadurch sei es ihr nur schwer möglich gewesen, die Arztpraxis kostendeckend zu führen, erklärte Bürgermeister Leopold Gruber-Doberer. Fichtenberg übernahm im April 2015 eine Praxis im 40 Kilometer entfernten Martinsberg – mit Hausapotheke.
Dabei hatte die Marktgemeinde Ruprechtshofen die Ärztin nach Kräften unterstützt: Die Praxisräume wurden ihr seit 2013 mietfrei überlassen, für ihre Wohnung musste sie nur 1,50 Euro Miete pro Quadratmeter zahlen. Dies habe den Wegfall der Hausapotheke aber nicht annähernd ausgleichen können, so Gruber-Doberer. Seit Fichtenberg die Ordination gekündigt hat, wurde die Stelle zehn Mal ausgeschrieben, ohne Erfolg.
Für Gruber-Doberer ist klar, dass das an der fehlenden Hausapotheke liegt. „40 Prozent des Einkommens für einen Landarzt sind der Erlös aus der Hausapotheke“, sagte er dem ORF-Magazin „Niederösterreich heute“. Deshalb greift der Bürgermeister nun zu ungewöhnlichen Mitteln: Auf einer grünen Wiese soll eine Container-Praxis aufgebaut werden, die dann rund 6,5 Kilometer entfernt von der Apotheke Leonhofen im benachbarten St. Leonhard am Forst liegt.
Somit kann der neue Arzt, Dr. Florian Fedrizzi, in seiner künftigen Praxis auch Medikamente abgeben. Allerdings haben die Apotheke Leonhofen und die Apothekerkammer Niederösterreich bereits Einspruch erhoben. Kammerpräsident Heinz Haberfeld befürchtet einen Trick: „Der Arzt könnte sich in der Gemeinde ansiedeln, eine Hausapotheke bewilligt bekommen und dann zurück in den Ortskern ziehen – in das Einzugsapotheke der Apotheke.“
Haberfeld betont, dass die Margen der Apotheken in den vergangenen Jahren zurückgegangen sind. Hochpreiser auf der einen Seite und ein Preisverfall bei den Generika auf der anderen Seite machten den Apotheken zu schaffen. „Wenn dann in unmittelbarer Nähe ein Arzt mit Hausapotheke eröffnet, sieht es schlecht aus.“
Aus Sicht von Haberfeld ist eine Arztpraxis bei einer Einwohnerzahl von 1300 bis 1500 Personen durchaus auch ohne Hausapotheke wirtschaftlich zu führen – ansonsten müsse man an den Qualitäten des Arztes zweifeln. Der Kammerpräsident räumt ein, dass das Honorarsystem „reformbedürftig“ sei: „Das ist eine Sache, die die Ärzte und die Sozialkassen verhandeln müssen“, betont Haberfeld. Aber es könne nicht sein, dass sich ein Berufsstand auf Kosten eines anderen bereichere.
Vor diesem Hintergrund sieht Haberfeld auch das Vorgehen der Gemeinde kritisch: „Es ist der Bevölkerung offenbar zumutbar, sechs Kilometer zum Arzt zu fahren, aber nicht, sechs Kilometer bis zur Apotheke zurückzulegen“, moniert er.
Martin Leeb, Vizebürgermeister von Ruprechtshofen, betont, dass es nicht um die Frage gehe, ob es eine Arztpraxis mit oder ohne Hausapotheke gebe – sondern ob es überhaupt einen Arzt gebe. Die Alternative zu dem Praxis-Container auf der grünen Wiese sei gar kein Gemeindearzt. Zudem würden die meisten Menschen ohnehin mit dem Auto zum Arzt fahren. Leeb kann nicht nachvollziehen, warum sich die Apotheker so sehr gegen die ärztliche Hausapotheke wehren: „In St. Leonhard gibt es derzeit zwei Ärzte, und beide haben noch eine Hausapotheke.“
Die Entscheidung über die Genehmigung der Praxis mit Hausapotheke in Ruprechtshofen liegt nun bei der Bezirkshauptmannschaft Melk. Wie auch immer sie ausfällt, im Nachhinein kann sie von beiden Seiten angefochten werden. Ein Ende in dem Streit ist also noch lange nicht in Sicht.