Niederlande

Visavia als Notdienst-Terminal

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Berlin -

In Deutschland verfolgt die Apothekenwelt gebannt, ob der Automat von DocMorris im baden-württembergischen Hüffenhardt schließen muss oder ob die Apothekenpflicht in den virtuellen Raum verlagert wird. Derweil erlebt BD Rowa mit seinem in Deutschland gescheiterten Terminal Visavia ein überraschendes Comeback in den Niederlanden. Im Dorf Bladel sichert ein von der Eindhovener Notfallapotheke gesteuerter Automat die Versorgung außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Ende Mai läuft der einjährige Modellversuch aus.

Die Niederlande ächzen unter den hohen Kosten im Gesundheitswesen. Davon sind auch die Apotheken betroffen. „Die Politik bemüht sich, die Kosten zu reduzieren. Lösungsansätze werden hier viel sachlicher diskutiert als in Deutschland, wo sich die Standesvertretungen gegen große Veränderungen wehren“, sagt Dirk Bockelmann, Sales Director International bei BD Rowa. Erste Reformen wurden schon vor etwa 15 Jahren eingeleitet: In Deutschland teilen sich rund 20.000 Apotheken die Notdienste. In den Niederlanden dagegen übernehmen 90 zentrale Dienstapotheken die Versorgung in der Nacht und an Sonn- und Feiertagen. Sie sind meist an Ärztehäusern oder Notfallambulanzen von Krankenhäusern angegliedert.

Vor vier Jahren wurde die Finanzierung der Apotheken auf neue Füße gestellt. Der Pharmazeut wird jetzt pro Rezept und Kundenkontakt vergütet. Die Gesamthöhe der Erstattung ist abhängig vom Umfang und der Qualität der Dienstleitung. Zusätzlich dazu muss jede Dienstapotheke jedes Jahr aufs Neue einen Haushalt bei den Krankenkassen einreichen, in denen sie Einnahmen und Kosten hochrechnet. Die Kosten wurden so zwar gedeckelt, doch nicht alle Apotheken konnten jetzt noch ihren Personalaufwand bezahlen. Gerade Dienstapotheken im ländlichen Raum mit nur wenigen nächtlichen Kunden erwischte es hart. Einige von ihnen mussten dicht machen.

Auch das 10.000-Einwohner-Dorf Bladel blieb nicht verschont. Ein Unding, fand die örtliche Hausarztpraxis. Sie unterhält einen 24-Stunden-Dienst, konnte nun aber nicht mehr die Versorgung mit Notfallmedikamenten sicherstellen. Die nächstgelegene Dienstapotheke steht im 30 Kilometer entfernten Eindhoven. „Mütter mit kranken Kindern waren jetzt eine Dreiviertelstunde mit dem Auto unterwegs“, berichtet Niek van der Zanden. Er ist seit 1981 selbstständiger Apotheker und seit 2011 Chef der Dienstapotheke in der 225.000-Einwohner-Stadt.

Van der Zanden hatte viel vom Visavia-Terminal gehört. Vor zehn Jahren wurde der Automat erstmals vorgestellt – und nach erbittertem Widerstand der deutschen Apotheker vom Bundesverwaltungsgericht verboten. „Gemeinsam mit Herrn van der Zanden haben wir beschlossen, das Projekt wieder aufleben zu lassen“, berichtet Bockelmann. BD Rowa bastelte zwei Jahre an einer Modifizierung für den niederländischen Markt.

Die Funktionsweise ähnelt der des umstrittenen DocMorris-Terminals im baden-württembergischen Hüffenhardt: Klingelt der Kunde, dann öffnet sich eine Luke. Über eine gesicherte Verbindung wird Videokontakt mit einem Assistenten der Dienstapotheke in Eindhoven hergestellt. Der Mitarbeiter kontrolliert über die Kamera den Personalausweis des Kunden. Der steckt danach das Rezept in einen Schlitz. Auf Knopfdruck des Assistenten stellt der angeschlossene Kommissionierautomat in Bladel das Präparat binnen weniger Momente bereit. Vor der Ausgabe an den Kunden wird es fotografiert, der Scan von zwei Assistenten in Eindhoven gegengecheckt. So soll sichergestellt werden, dass der Patient das richtige Mittel erhält. Werden die Kosten der Arznei nicht oder nicht vollständig von der Krankenkasse übernommen, kann an einem Terminal mit Karte oder Bargeld bezahlt werden.

Auch in den Niederlanden spricht die derzeitige Gesetzeslage noch gegen den Betrieb eines Arzneimittelautomaten. Anders als etwa in Deutschland erhält jedes auf Rezept ausgegebene Medikament ein eigenes, auf den jeweiligen Kunden zugeschnittenes Etikett mit Einnahme- und Warnhinweisen. „Die Vorratshaltung von unetikettierten Medikamenten ist nur in den öffentlichen Apotheken zulässig, als solche gilt der Automat nicht“, sagt Niek van der Zanden. Auch die Etikettierung müsse von einem Apotheker vor Ort persönlich vorgenommen werden. „Die Inspektion des Gesundheitsministeriums hatte Bauchschmerzen damit, dass der Druck für die Kunden in Bladel bei uns in Eindhoven veranlasst wird. Die Gegenkontrolle per Kamera hat sie für die Dauer des Piloten halbwegs beruhigt.“ Zwei Krankenkassen übernahmen die Finanzierung. Am 3. Juni 2016 wurde das Visavia-Terminal offiziell in Betrieb genommen.

Der Automat spaltet die niederländischen Apotheker in zwei Lager, beobachtet Bockelmann: „Die einen zeigen sich begeistert. Die anderen fürchten, dass ihre Arbeit langfristig nur noch von Robotern erledigt werden könnte, und wollen die Stellung der Vor-Ort-Apotheken stärken.“ Als Kompromiss blieb der Betrieb des Automaten auf die Zeiten außerhalb der regulären Öffnung beschränkt. Das hatte auch Vorteile, stellte van der Zanden fest. „Ich konnte mein Sortiment auf die 120 Medikamente beschränken, die 90 Prozent der in Notfällen eingereichten Rezepte abdecken. Das sind vor allem Schmerzmittel, Antibiotika und Sedativa.“

Im laufenden Betrieb habe sich der Automat bewährt und auch die Inspektion bei ihren Besuchen nichts zu beanstanden gehabt, berichtet Bockelmann. Ende Mai läuft der Pilotversuch aus. Dann gelten für van der Zanden dieselben Konditionen wie für alle regulären Rowa-Kunden: 160.000 Euro kostet der Kauf des Automaten. Im Betrag enthalten sind die ferngesteuerte Abgabe, die Fördertechnik und der Terminal für Karten-, Geldschein- oder Münzzahlung. Zusätzlich fällt ein monatlicher Betrag von 1200 Euro für Softwarelizenzen und Wartung an. An eine dauerhafte Kostenübernahme durch die Krankenkassen glaubt van der Zanden nicht. „Ich könnte den Automaten kaufen und dann über mehrere Jahre hinweg steuerlich abschreiben. Aber wahrscheinlich werde ich ihn leasen.“

Für einen dauerhaften Weiterbetrieb muss erst der Weg frei gemacht werden. Nach den Parlamentswahlen vom 15. März dauern die komplizierten Koalitionsverhandlungen zwischen Rechts- und Linksliberalen, Christdemokraten und Grünen noch an. Wer dann das Gesundheitsministerium besetze, sei aber nicht entscheidend, sagt der erfahrene Apotheker. Die staatliche Inspektion sei vom Projekt so überzeugt, dass wohl bald eine Lösung gefunden werden könnte. Den noch immer anhaltenden Widerstand vieler seiner Kollegen kann van der Zanden nicht nachvollziehen: „Ich mache den Tagesapotheken keine Konkurrenz, im Gegenteil, von meiner Dienstleistung profitieren alle 60 Apotheken, mit denen ich in meiner Region zusammenarbeite.“ Die niederländische Apothekenkammer wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Bockelmann denkt derweil schon in die weitere Zukunft. Drei weitere Dienstapotheken hätten bereits Interesse an der Aufstellung eines Automaten angemeldet. Um welche Standorte es dabei geht, wollte der Vertriebschef noch nicht verraten. Und auch Perspektiven über die niederländischen Grenzen hinaus könnte es geben: „In der Schweiz werden ähnlich pragmatische Diskussion über die Dämpfung von Gesundheitskosten geführt, und auch hier ist die Versorgung auf dem Land nicht immer sichergestellt.“

In Deutschland war BD Rowa mit seinem Terminal an die Grenzen geraten. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig untersagte 2010 die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel über das Terminal. OTC-Medikamente dürfen laut Urteil nicht außerhalb der Öffnungszeiten der Apotheke abgegeben werden. Die Videokonferenz galt den Richtern dabei nicht als gleichwertiger Ersatz für eine persönliche Beratung.

Die Abgabe von freiverkäuflichen Arzneimitteln ist laut Urteil komplett unzulässig, weil nicht zwingend ein Apotheker per Video zugeschaltet werden muss. Arzneimittel dürfen grundsätzlich nicht durch Automaten in Verkehr gebracht werden. Im Drogeriemarkt gibt es zwar ebenfalls Selbstbedienung, eine sachkundige Person ist aber zugegen.

Schwere Bedenken hatten die Richter gegen das Visavia-Servicecenter: Weil das Terminal von dort aus gesteuert werden könne, laufe der Vertrag auf einen „zeitweisen Fremdbetrieb der Apotheke“ hinaus. Schließlich sei auch im Falle einer Vertretung die Pflicht zur persönlichen Leitung der Apotheke und einer gewissen Betriebszugehörigkeit des pharmazeutischen Personals nicht aufgehoben. Die vertraglich vereinbarte Weisungsbefugnis des Apothekers reichte den Verwaltungsrichtern nicht aus.

In Rheinland-Pfalz erlebte Visavia noch einmal ein kurzes Comeback: Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium lief von Juli 2012 bis Mitte Januar 2013 ein Pilotprojekt mit angepassten Terminals in ländlichen Gebieten. In vier Apotheken in Haßloch, Osthofen, Bodenheim und Daun wurden von Juli 2012 bis Mitte Januar 2013 Automaten zunächst parallel zu den Öffnungszeiten, ab Oktober zwischen 6 und 22 Uhr betrieben.

Nach Auswertung des Projekts erklärte der damalige Gesundheitsminister Alexander Schweitzer (SPD) 2014, das Modellprojekt habe „erste Hinweise auf positive Ergebnisse im ländlichen Raum“ zutage gefördert. Die Genehmigung für eine dritte Phase wurde von der Landesapothekenkammer Rheinland-Pfalz verweigert.

In diesem Jahr blies DocMorris zum Kampf auf den deutschen Markt. Die Versandapotheke eröffnete am 19. April in der baden-württembergischen Gemeinde Hüffenhardt einen Abgabe-Terminal. In den Geschäftsräumen der 2015 geschlossenen Brunnen-Apotheke konnten sich Kunden per Videochat von Apothekern und PTA am niederländischen Firmensitz Heerlen beraten lassen. Die Mitarbeiter gaben die Medikamente frei, die dann vom Kommissionierautomaten in Hüffenhardt ausgegeben werden. Kontrolliert wurde die Packung ebenfalls per Videoübertragung. Auch Rezepte konnten am Terminal eingelöst werden. Die Abgabe von Rx-Medikamenten wurde in Heerlen gesteuert. Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC lieferte die Firma Riedl im thüringischen Plauen liefert die technischen Komponenten, der Rest des Kommissionierers könnte von der italienischen Label Pharma kommen.

Das Regierungspräsidium Karlsruhe ließ den Automaten nach nur 48 Stunden wieder schließen. Die Automatenabgabe verwische in unzulässiger Weise die Grenze zwischen dem Versandhandel und der Abgabe von Arzneimitteln in einer Präsenzapotheke. Zusätzlich werde bei der Abgabe von Rx-Medikamenten bei der Prüfung der Rezepte am Terminal gegen Formvorschriften der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verstoßen, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit von jeder Apotheke einzuhalten seien. DocMorris reichte Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) ein. Solange darüber nicht entschieden ist, dürfen zumindest OTC-Produkte weiter abgegeben werden. Die Einlösung von Rezepten bleibt tabu.

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