Neuseeland ist das Land der glücklichen Apotheker. Denn während hierzulande der Berufsstand unter immer mehr Bürokratie leidet, haben sich die Kollegen am anderen Ende der Welt ein neues Selbstbewusstsein erarbeitet. In keiner anderen Region wurden in den vergangenen zehn Jahren so viele Wirkstoffe aus der Verschreibungspflicht in die Verantwortung der Pharmazeuten entlassen. Auch Ärzte und Patienten profitieren. Im Fall von Sildenafil wurde auch der illegale Handel eingedämmt.
Seit 2001 können Apotheker die „Pille danach“ ohne Rezept abgeben. Davor waren OTC-Switches kaum ein Thema, doch die Erfahrungen mit den Notfallkontrazeptiva waren für die Fachkreise ein Anlass, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Seitdem wurden zahlreiche Wirkstoffe aus der Verschreibungspflicht entlassen; sie dürfen allerdings nur durch Approbierte abgegeben werden, die sich vorab entsprechend fortbilden müssen. Auch ein umfangreiches Beratungsgespräch auf der Grundlage eines definierten Fragenkatalogs ist Pflicht. Selbst Impfungen sind mittlerweile in der Apotheke möglich.
Das Mehr an Service und Selbstbewusstsein haben die Apotheker nicht zuletzt Dr. Natalie Gauld zu verdanken, die von 2004 bis 2009 als Vertreterin der Apotheker im Sachverständigenausschuss saß und an zahlreichen OTC-Switches beteiligt war. „Vor dem Switch standen Apotheker unter Druck, es gab für sie nichts Neues. Mit den Entlassungen aus der Verschreibungspflicht können sie mehr Service bieten und haben wieder Selbstvertrauen erlangt“, beschreibt sie den Wandel. „Außerdem hat sich der Kontakt zu den Ärzten und Patienten verbessert.“
Gauld ist selbst Apothekerin und freut sich, dass ihre Kollegen die Vorteile und Freiheiten erkannt haben. Ihrer Meinung nach profitieren alle Beteiligten: Patienten und Ärzte sparten Zeit. Die Apotheker wiederum können sich als Anlaufstelle in Gesundheitsfragen profilieren – und nebenbei auch noch ein zusätzliches Geschäft machen. Bei Sildenafil etwa wird zusätzlich zum Preis des Arzneimittels eine Beratungsgebühr von umgerechnet etwa 20 Euro fällig, ein Betrag, der mehr als nur symbolischer Natur ist.
Dennoch nutzen die Kunden das neue Angebot. Männer mit erektiler Dysfunktion beispielsweise würden eher mit dem Apotheker als mit dem Arzt sprechen, weiß Gauld. Andere Leistungen wie die Grippeimpfung für Personen ab 64 Jahren und Schwangere übernimmt die Kasse, die sich schließlich den Arztbesuch spart.
Gauld hat für die Vorträge, die sie weltweit zum Thema hält, Videos mit Apothekern aufgenommen, denen man die Zufriedenheit deutlich ansieht. Sie berichten von Erlebnissen, die sie daran erinnerten, warum sie einmal Pharmazie studiert hatten: Eine Apothekerin rettete einen Patienten, bei dem sich hinter der erektilen Dysfunktion eine ernsthafte Herz-Kreislauferkrankung verbarg. Auch andere Kollegen konnten helfen und die dankbaren Patienten zu Stammkunden machen.
Ein Hexenwerk ist der Umgang mit den Präparaten nicht: Die Apotheker müssen bei der Abgabe einen Fragenkatalog mit den Patienten durcharbeiten. Patienten müssen bei Sildenafil unter anderem Angaben zum letzten Herzgesundheit- und Diabetes-Check machen. Liegt dieser allzu lange zurück, werden sie an einen Arzt verwiesen.
Der Fragebogen werde voll und ganz akzeptiert, so Gauld, Beschwerden habe sie in all ihren Befragungen nicht erhalten. Im Gegenteil: Die Kollegen seien froh über das Protokoll: So blieben keine Fragen offen, zudem werde die Diagnosestellung, die in Neuseeland erlaubt sei, erleichtert.
Wer den neuen Service anbieten will, muss für jeden Wirkstoff eine spezielle Schulung absolvieren. Insgesamt ist laut Gauld die Hälfte der Apotheken zur Abgabe von Sildenafil berechtigt. Kontrazeptiva dürfen in jeder vierten Apotheke abgegeben werden. Die Beratung findet in separaten Räumen statt, laut Gauld besitzen einige Apotheken bis zu drei Separees.
Positiv kann auch der Rückgang der illegalen Bestellungen gewertet werden. Während von 2012 bis 2014 die Anzahl der konfiszierten Pakete mit illegal importierten Sildenafil auf etwa 3750 anstieg, geht die Zahl seit dem Switch kontinuierlich zurück. Kurzum: Alle happy in Down Under.
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