Welsberg-Taisten in Südtirol ist eine Gemeinde wie aus dem Bilderbuch: Eingebettet ins Pustertal, dort wo das Gsieser Tal abzweigt, umrahmt von hohen Bergen, heile Welt. Touristen kommen gern, Pharmazeuten nicht so gern. Der Apotheker vor Ort betreibt deshalb eine kleine Ausgabestelle im talaufwärts gelegenen St. Martin.
„Wir sind die einzige italienischsprechende Familie im Dorf“, erzählt Apotheker Pietro Baruchello. Auf italienisch heißt sein Heimatort Monguelfo. „Mein Vater hat die im Jahr 1935 gegründete Schloss-Apotheke im Jahr 1977 übernommen, ich bin in der Apotheke aufgewachsen.“ Nach dem Studium in Padua zog es ihn sofort wieder in sein Tal zurück. „Ich musste zu meinen Bergen, habe während des Studiums festgestellt, dass ich nicht in einer Stadt wohnen kann. Die Natur hat mir sehr gefehlt.“ Seit zehn Jahren wohnt er nun wieder in der Provinz Bozen, in einer Gemeinde mit rund 2800 Einwohnern.
Er lebt im Rhythmus des Tourismus. Mitte Juni bis Mitte September ist hier Hauptsaison und viele Bergsteiger und Wanderer kommen. Und von Weihnachten bis Ostern ist dann Skisaison. „Als wir von Treviso, das ungefähr 200 Kilometer entfernt liegt, hierher zogen, gab es kaum Tourismus. Wir liegen sehr abgelegen, die Region war nicht so bekannt.“ In den 1980er-Jahren wurden Skilifte gebaut, es gab einen Touristen-Boom.
Auch in der Schloss-Apotheke gab es plötzlich mehr Arbeit. „Zum einen kamen die Touristen, zum anderen die Leute vom Dorf, das sind zwei komplett unterschiedliche Menschentypen“, erzählt Baruchello. Das schöne Gsieser Tal umfasst eine Länge von rund 20 Kilometern. „Die Dörfer hier sind klein und zerstreut, es gibt nur wenige Geschäfte, keine Gasthöfe und Bars, die Menschen arbeiten meist auswärts. Es gibt nur noch wenige junge Bauern.“
Die Menschen, die geblieben sind, wünschten sich eine zweite Apotheke. Aber niemand fand sich, der sie eröffnen wollte. Also einigte man sich vor fünf Jahren auf eine Ausgabestelle in St. Martin, dem vorletzten Ort vor dem Ende des Tals. Das Geschäft hat nur an drei Tagen in der Woche für jeweils drei Stunden, von 9 bis 12 Uhr, geöffnet. „Wir öffnen parallel zu den Öffnungszeiten des Hausarztes“, sagt Baruchello.
Sein Team und er haben treue und dankbare Kunden. Sie wissen, dass sie ohne die Ausgabestelle lange Anfahrtswege in Kauf nehmen müssten, viele ältere Menschen wären dazu gar nicht in der Lage. Sie belohnen die Apothekenmitarbeiter gelegentlich mit kleinen, süßen Überraschungen als Dankeschön. „Sie bringen uns manchmal Strauben vorbei, da kann man natürlich nicht Nein sagen...“, erzählt der Apotheker. Strauben sind eine typische süddeutsche und Südtiroler Süßspeise.
Ein liebenswertes Erlebnis ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. „Eine alte Dame, die nicht in der Lage war, in die Apotheke zu kommen, habe ich in der Mittagspause besucht und ihre Medikamente vorbeigebracht. Es waren zehn Minuten Fahrzeit, also kein großer Umweg für mich und ich habe es gern getan. Zu meiner großen Überraschung empfing sie mich wie den Papst, sie hatte für mich ein Mittagessen gekocht und mir noch Selbstgebackenes und Käse für zu Hause mitgegeben.“
Mit Touristen hat man diesbezüglich in der Schloss-Apotheke hingegen nicht so gute Erfahrungen gemacht. „Kaum jemand sagt mal Danke“, sagt der Pharmazeut. Aber so ist es eben, die Reisenden sind von zu Hause 24-Stunden-Apotheken gewöhnt, da wird man schnell verwöhnt.
Da die kleine Ausgabestelle finanziell nicht lukrativ ist – während der Öffnungszeiten muss eine Apothekerin aus seinem Team anwesend sein –, wurde ein Deal mit der Gemeinde geschlossen. „Die Apotheke befindet sich im Gemeindehaus, wir bezahlen keine Miete. Unser Gewinn liegt zwischen Minus und Null“, sagt Baruchello. „Wir machen die Ausgabestelle aus Leidenschaft, verbuchen es unter Service.“
Weil sie sonst niemand betreiben würde, man die Menschen im Tal aber nicht im Stich lassen könne. So läuft das Leben in den Bergen: Wer hier als Egoist agiert, kommt meist nicht weit. Auch in seiner Freizeit engagiert sich der Apotheker für die Menschen in seinem Tal, arbeitet im Landeskommitee für Tennis. „In Italien ist Tennis nach Fußball die zweitbeliebteste Sportart. Wir organisieren Unterricht und Turniere für Kinder und versuchen, sie dadurch in die Natur zu locken.“
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