USA

Mundipharma: Gründerfamilie muss vor Gericht Tobias Lau, 22.01.2019 13:19 Uhr

Berlin - 

Die Unternehmerfamilie Sackler muss sich in den USA wegen mutmaßlich unlauterer Geschäftspraktiken vor Gericht verteidigen. Den Gründern von Mundipharma wird vorgeworfen, eine Mitschuld an der grassierenden Opioid-Krise zu haben. Die Klage bezieht sich nicht auf Mundipharma, sondern auf den US-Konzern Purdue, den die Sacklers 1952 übernommen hatten. Purdue wird seit langem vorgeworfen, einer der Hauptverantwortlichen für die Krise zu sein.

„Acht Mitglieder einer einzigen Familie haben die Entscheidungen getroffen, die einen Großteil der Opioid-Krise ausgelöst haben“, heißt es in der Klageschrift der Staatsanwaltschaft Massachusetts. Die Vorwürfe sind dieselben, die auch gegen Purdue als Konzern erhoben werden: Die Sacklers seien über das Suchtpotential ihres Blockbusters Oxycontin voll im Bilde gewesen, so Generalstaatsanwältin Maura Healey, hätten aber dennoch „den Bundesstaat und die Nation mit Außendienstlern geflutet“. Diese sollen die Gefahren gegenüber Ärzten und Wissenschaftlern bewusst heruntergespielt oder verschleiert haben, um den Absatz zu steigern.

„Purdue hat aus der Schmerzmittelabhängigkeit einen Vorteil geschlagen, um Geld zu machen“, heißt es da. „Jahrzehntelang haben Ärzte Opioide nur bei schweren Schmerzen über einen kurzen Zeitraum angewendet oder bei Patienten, die kurz vor dem Lebensende stehen. Aber die Tradition, Opioide nur für kurzzeitige Behandlungen einzusetzen, endete, als Purdue Oxycontin einführte und es mit betrügerischen Behauptungen zu vermarkten begann.“

Somit habe das Unternehmen „die Opioid-Epidemie verursacht und durch ein System rechtswidriger Täuschung von ihr profitiert“, heißt es in deutlichen Worten. „Purdue hat persönliche Verkaufsgespräche dazu benutzt, um seine Täuschung zu verschleiern, wobei versucht wurde, Zeugen oder schriftliche Spuren zu vermeiden.“ So gebe es Fälle, in denen Außendienstler den Fehler begangen haben, ihr Verkaufsgespräch in einer E-Mail schriftlich zu fixieren. Der damalige Vize-Außendienstchef Russell Gasdia habe persönlich deren Entlassung angeordnet. „Die Führung von Purdue wollte keine Spuren ihres Verhaltens hinterlassen, weil sie wusste, dass sie das Gesetz bricht“, schlussfolgert die Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe werden von ehemaligen Purdue-Außendienstlern gestützt, die berichteten, man habe ihnen klipp und klar befohlen, in Verkaufsgesprächen zu lügen.

Für diese Praktiken sei die Sackler-Familie – acht Sackler-Erben sitzen neben neun weiteren hochrangigen Purdue-Managern auf der Anklagebank – direkt verantwortlich gewesen. Nicht nur gehört ihnen der Konzern, sondern „gemeinsam haben sie stets die Mehrheit im Aufsichtsrat gehabt und damit die volle Kontrolle über Purdue. Sie haben in hunderten Anweisungen an leitende und einfache Angestellte betrügerische Verkaufs- und Marketingstrategien angeordnet“, heißt es in der Klageschrift über die Sacklers.

Insbesondere Richard Sackler – 1999 bis 2014 Geschäftsführer – steht im Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft. Er habe „Purdue-Mitarbeitern befohlen, Ärzten nicht die Wahrheit zu sagen, weil das schlecht für den Oxycontin-Absatz wäre.“ Auch daran, dass all dies aus reiner Gewinnsucht geschehen sein soll, lässt die Anklage keinen Zweifel. „Von dem Geld, das Purdue mit Opioiden eingenommen hat, haben sie sich selbst und der Familie Milliarden von Dollar ausgezahlt.“

Das Forbes Magazine listet die Sacklers auf Platz 19 der reichsten Familien der USA. Mit einem Vermögen von 13 Milliarden Dollar liegen sie noch vor der legendären Rockefeller-Familie. Den Grundstein für diesen epochalen Reichtum haben die drei Brüder Arthur, Mortimer und Raymond seit den Fünfzigern mit der Purdue-Übernahme gelegt. Zum milliardenschweren Konzern, der er heute ist, wurde Purdue erst ab Mitte der Neunziger – durch Oxycontin. Raymond, der letzte der drei Brüder, starb 2017 im Alter von 97 Jahren. Er war der Vater des späteren Purdue-CEOs Richard Sackler und gründete zusammen mit seinem älteren Bruder Mortimer 1967 in Frankfurt Mundipharma als Schwesterfirma von Purdue.

Insbesondere Raymond wird in der Klageschrift eine Rolle bei den mutmaßlichen Vergehen des Unternehmens eingeräumt. So habe er noch 2014 in einem Memorandum an Richard, David und Jonathan Sackler die Strategie Purdues klar ausgeführt: Dafür zu sorgen, dass Patienten über einen möglichst langen Zeitraum eine möglichst hohe Dosis Oxycontin verschrieben bekommen. Ärzte hätten versucht, das durch die Festlegung einer maximalen Einnahmedauer und -menge zu unterlaufen. Purdue habe dies aber verhindern können. Bereits 2007, da lebte die Gründergeneration noch, musste Purdue in einem ähnlichen Verfahren im Bundesstaat Virginia die damalige Rekordstrafe von 600 Millionen US-Dollar zahlen.

Über heutige Besitz- und Machtverhältnisse sowie Verbindungen zur Sackler-Familie äußert sich Mundipharma auf mehrfache Anfrage nicht. Das Unternehmen beteuert lediglich, es werde „unabhängig von Purdue geführt und hat keine Aktivitäten in den USA oder Informationen zur Opioidsituation in den USA, außer den in den Medien publizierten“.

In der Klageschrift wird Mundipharma nicht erwähnt. Seit vergangenem Herbst sitzt Mundipharma wieder in Frankfurt, nachdem das Werk in Limburg wegen kontinuierlicher Unterauslastung abgestoßen werden musste. Belegschaft und Lokalpolitik protestierten. Das Seefelder Beratungsdienstleistungsunternehmen Fidelio Healthcare hat es samt der 100 Beschäftigten übernommen und will nun ein neues pharmazeutisches Unternehmen in Limburg etablieren, mit dem Mundipharma eng zusammenarbeiten wird.