Österreich

Mohren-Apotheke: Alles koscher Eugenie Ankowitsch, 06.01.2018 09:14 Uhr

Berlin - 

Seit etwas mehr als einem Jahr bietet die Mohren-Apotheke, eine der drei ältesten Apotheken Wiens, vegane Nahrungsergänzungsmittel an. Vor wenigen Wochen erhielt Inhaberin Teresa Marosi dafür sogar ein sogenanntes Koscher-Zertifikat vom Rabbinat der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien. Damit sind die Produkte sowohl für Menschen, die Koscher halten, geeignet, als auch für solche, die halal essen. Ohnehin ist die Apotheke fest mit der jüdischen Kultur verbunden.

Schon früh hat Marosi ein Faible für Heilkräuter entwickelt. Ihre Apotheke ist mittlerweile für zahlreiche Kräuter- und Teemischungen bekannt. „Inzwischen kommen Menschen extra zu uns, um eins unserer Produkte zu kaufen“, erzählt sie. Da jedoch nicht jeder ein Teetrinker sei, habe sie sich überlegt, ihre Tees in Kapselform anzubieten.

Am Anfang sei es überhaupt nicht geplant gewesen, koschere Nahrungsergänzungsmittel herzustellen. „Es ging primär darum, auf solche umstrittenen Bestandteile wie Gelatine zu verzichten und ausschließlich regionale, hochqualitative Inhaltsstoffe zu verwenden“, berichtet die Apothekerin. Die Kapseln, die Marosi in Salzburg von der Nährstoffakademie produzieren lässt, sind ihren Angaben nach pflanzlich, und damit sowohl für Veganer und Vegetarier als auch Menschen mit Unverträglichkeiten geeignet.

Gespräche mit jüdischer Kundschaft hätten jedoch gezeigt, dass es gerade an dem Standort unweit des Stadttempels sowie des Misrachi-Hauses am Judenplatz, das ein Teil eines Ensembles zum Gedenken an die Geschichte der Juden in Wien ist, auch Nachfrage nach koscheren Nahrungsergänzungen gibt. Vor wenigen Wochen erhielt Marosi ein sogenanntes Koscher-Zertifikat vom Rabbinat der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien. Damit wird bescheinigt, dass die entsprechenden Erzeugnisse unter Beachtung der jüdischen Gesetze hergestellt und gemäß den Speisegesetzen zum Gebrauch und Verzehr zugelassen sind.

Acht Produkte umfasst inzwischen das Sortiment. Eines der Produkte namens „Immunkraft und Hagebutte“ kombiniert beispielsweise Hagebutte mit Vitamin C und Zink und soll so das Immunsystem stärken. „Ruhe und Schlaf“ ist eine Mischung aus Hopfen, Baldrian und Passionsblume. „Die Produkte werden sehr gut angenommen“, sagt Marosi. Deshalb soll die Produktpalette erweitet werden.

Die Kooperation zwischen Apotheke und IKG hat auch mit der bewegten Geschichte der Mohren-Apotheke im vergangenen Jahrhundert zu tun. Gegründet wurde sie allerdings bereits 1350 als „Apotheke zum schwarzen Äthiopier“. Später hieß sie „Apotheke zum schwarzen Mohren“. Maximilian Korwill, Marosis Urgroßvater jüdischer Abstammung, kaufte die Apotheke 1901. Im Jahr 1935 übernahmen die beiden Töchter Edith Schüller, Marosis Großmutter, sowie Gertrud Saphir. Die eine hatte Pharmazie studiert, die andere Wirtschaft. Nach Ansicht des Vaters war das eine ideale Kombination, um das Geschäft erfolgreich weiterzuführen.

Doch die Geschichte sah anderes vor. Schon im Frühjahr 1938 beantragte eine Mitarbeiterin mit nationalsozialistischer Gesinnung die „Arisierung“ der Mohren-Apotheke. Die Übernahme erfolgte rasch. Saphir emigrierte noch im selben Jahr mit ihrem Mann in die USA. Schüller jedoch blieb in Wien. Ihre Mutter hatte inzwischen einen Nichtjuden geheiratet, der vor den Behörden angab, der Vater Schüllers zu sein. So hatte sie den Status einer „Halbjüdin“ erlangt. Als ihr 1944 auch dieser aberkannt wurde, war sie gezwungen, sich zu verstecken. Bis zum Kriegsende lebte sie verborgen in einer Wohnung im ersten Bezirk der österreichischen Hauptstadt.

Nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten bemühte sich die Großmutter, die Apotheke wieder zurückzubekommen. Mit Erfolg. Bis 1955 wurde sie zunächst als Verwalterin eingesetzt, danach ging das Unternehmen wieder in Familienbesitz über. Bis 2012 führte ihre Tochter Sylvia Friedrich die Apotheke. Nun hat Marosi in dritter Frauengeneration das Ruder in der Hand.

All das hat die heutige Inhaberin erst nach dem Tod ihrer Großmutter im Jahr 2001 unter anderem aus deren Nachlass erfahren. Denn sie hatte in all den Jahren weder über ihre jüdische Abstammung noch über ihr Überleben in einem Versteck in Wien je wirklich mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin gesprochen. Marosi wurde auch ursprünglich getauft, trat jedoch als Erwachsene aus der Kirche aus und ist inzwischen Mitglied der jüdischen Gemeinde in Wien.

Den Anstoß zu diesem Schritt gaben dabei auch die vielen Stunden, die sie im Archiv der IKG nach dem Tod der Großmutter verbracht hat, um die Geschichte der Apotheke und damit auch der Familie zu recherchieren. Diese Geschichte hat die Apothekerin mit einer Tafel für alle Kunden und Passanten öffentlich gemacht.