Großbritannien

Mehr Apotheken statt geschützte Ketten

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Wenn es um die Liberalisierung des Apothekenmarktes geht, wird Großbritannien von Befürwortern gerne zur Referenz stilisiert. Doch in London macht man sich Gedanken, wie der Markt wettbewerblicher gestaltet und die flächendeckende Versorgung in Zukunft sichergestellt werden kann. Ein Gutachten im Auftrag der britischen Wettbewerbsbehörde kommt zu dem Schluss, dass Apotheken sich künftig nicht nur frei niederlassen, sondern auch mit speziellen Vergütungsmodellen in dünner besiedelte Regionen gelockt werden sollten. Die Empfehlungen könnten Konzerne wie Alliance Boots, Celesio und Phoenix teuer zu stehen kommen.

Seit 1987 gibt es eine Bedarfsplanung für Apotheken, die mit dem staatlichen Gesundheitsdienst NHS abrechnen wollen. Für die Wettbewerbshüter kommt die Standortgarantie einer Marktabschottung gleich. Bereits 2003 empfahl die Kartellbehörde der Regierung, sämtliche Zugangsbeschränkungen abzuschaffen, zumal kaum noch Neueröffnungen von Apotheken zu registrieren waren. Service- und Preisniveau litten darunter, dass im Wettbewerb um gute Standorte erhebliche Summen für Übernahmen verbrannt würden, kritisierte die Wettbewerbsaufsicht damals.

Die Regierung folgte den Empfehlungen nicht, sondern lockerte die Niederlassungsbeschränkungen nur unter bestimmten Voraussetzungen: In England müssen seit 2005 Apotheken, die sich beispielsweise in außerstädtisch gelegenen Einkaufszentren mit mehr als 15.000 Quadratmetern ansiedeln oder mehr als 100 Stunden pro Woche öffnen, keiner Bedarfsprüfung mehr unterziehen. Aufgrund dieser Ausnahmen ist die Zahl der Apotheken um 9 Prozent auf knapp 10.600 gestiegen - anders als etwa in Wales, wo es keine solchen Freibriefe gibt. Der Markt hat sich auch in der Struktur verändert: Vor allem Supermarktapotheken haben die Befreiungsklauseln genutzt und Marktanteile gewonnen.

Die Wettbewerbshüter sind trotz der ungleichen Bedingungen zufrieden: Laut Gutachten haben die Ausnahmeregelungen zu kürzeren Anreise- und Wartezeiten für die Patienten, einem besseren Serviceangebot und längeren Öffnungszeiten geführt. Die Ökonomen haben einen monetären Nettonutzen von 25 bis 33 Millionen Pfund errechnet - ohne eventuelle OTC-Preissenkungen.

Laut Studie gab es keine Hinweise auf unerwünschte Nebeneffekte wie Personalmangel oder Umsatzeinbußen für bestehende Apotheken und damit verbundene Schließungen. Mengenausweitungen wurden im Rx-Bereich ebenfalls nicht beobachtet. Inwiefern unabhängige Apotheken verstärkt durch Ketten verdrängt wurden, konnten die Gutachter nicht sagen, da dieser Trend seit Jahren anhält: 52 Prozent aller Apotheken gehörten 2009 zu einer Kette, nach 39 Prozent im Jahr 2002.

Obwohl die Ökonomen nach wie vor eine Abschaffung der Bedarfsplanung empfehlen, raten sie auch zu flankierenden Maßnahmen: Nach den ersten Erfahrungen siedeln sich Großapotheken mit 100 Wochenstunden in Clustern an, vor allem um attraktive Standorte wie Arztpraxen. Für die Nähe zu Frequenzbringern wird die Nähe zur Konkurrenz in Kauf genommen: Nur jede fünfte Neueröffnung fand mit einem Abstand von mehr als einem Kilometer zu einer bestehenden Apotheke statt; unter dem alten Genehmigungsverfahren war es noch mehr als die Hälfte gewesen.

Um diesen Trend zu stoppen und eine Unterversorgung auf dem Land bei gleichzeitiger Überversorgung in Ballungsgebieten zu verhindern, sehen die Gutachter Bedarf für neue Steuerungsinstrumente: Demnach sollen nicht mehr alle Apotheken nach demselben Vergütungssystem bezahlt werden. Vielmehr schwebt den Forschern ein Honorarmodell vor, das Apotheken in „bedürftigen Gebieten“ besser stellt und damit attraktiver für Investoren macht. Details liefert die Studie aber nicht.

Mit ihren Vorschlägen könnten die Ökonomen Apotheker und Kettenbetreiber in Bedrängnis bringen, zumal die bestehenden Standorte ohne Wettbewerbsschutz schlagartig an Wert verlieren würden. Laut Studie hatten die Ketten bereits in den Jahren 2002 bis 2005 ihre Ausgaben für Apothekenkäufe zurückgedreht, weil unklar war, wie sich die Bedarfsplanung entwickeln würde. Dies könnte sich jetzt je nach politischer Lage wiederholen: Unter neuen Bedingungen ließen sich die in der Vergangenheit gezahlten Kaufpreise nur noch schwer rechtfertigen.

Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle hatte bereits Ende März mehr Zurückhaltung bei Apothekenzukäufen angekündigt. Inwieweit das auch im Zusammenhang mit einer erwarteten Liberalisierung steht, war auf Nachfrage bislang nicht zu erfahren. Der Stuttgarter Pharmahändler hat bei seinen knapp 1700 britischen Apotheken Geschäftswerte von mehr als einer Milliarde Euro in den Büchern stehen, das sind knapp drei Viertel aller Apothekenketten und ein Drittel des gesamten Goodwills des Konzerns. Bei den beiden Abschreibungsrunden im vergangenen Jahr waren die britischen Apotheken, die immerhin knapp zwei Drittel des gesamten Kettenumsatzes des Konzerns machen, nicht betroffen gewesen.

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