In Österreich ist dem Vorstand von Herba Chemosan ein Überraschungscoup gelungen. Das Management übernimmt gemeinsam mit der Raiffeisenbankengruppe den mit Abstand führenden Pharmagroßhändler. Verkäufer ist der US-Konzern McKesson, der sich aus Europa zurückzieht.
Im Sommer verkündete McKesson den Rückzug aus Europa – und den Verkauf des Milliardenimperiums. Den größten Teil der Aktivitäten übernahm Phoenix für etwa 1,5 Milliarden US-Dollar (umgerechnet rund 1,3 Milliarden Euro), nur in Märkten mit Überschneidungen wie Großbritannien, Deutschland, Norwegen oder Dänemark und auch Österreich kam der Konkurrent aus Mannheim nicht zum Zug. So gingen Großhandel und Kette in Großbritannien an den Finanzinvestor Aurelius, das deutsche Joint Venture AHD übernahm Walgreens Boots Alliance (WBA) komplett.
Umso erstaunlicher ist die Lösung, die nun in der Alpenrepublik gefunden wurde. Der Herba-Vorstand mit Andreas Windischbauer, Andreas Janka und Maximilian von Künsberg Sarre übernimmt im Rahmen eines Management Buy-Outs 51 Prozent der Unternehmensanteile, die Invest AG die übrigen 49 Prozent. Das Unternehmen ist eine von vier rechtlich selbstständigen Beteiligungsgesellschaften der Raiffeisen Invest Private Equity Gruppe, die von der Raiffeisenbankengruppe Oberösterreich und zum Teil von der Raiffeisenlandesbank Steiermark finanziert werden und mit einem aggregierten Fondsvolumen von rund 500 Millionen Euro zu Österreichs führende Private Equity Investoren gehören.
Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart, die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) muss noch zustimmen. Mit einem Marktanteil von mehr als 40 Prozent ist Herba Chemosan der führende Großhändler in Österreich, vor den Konkurrenten Jacoby GM, Kwizda, Pharmosan, Richter und Phoenix. Innerhalb von 90 Minuten kann nach Unternehmensangaben jede Apotheke beliefert werden. An acht Standorten (Wien, Linz, Salzburg, Rum bei Innsbruck, Dornbirn, Graz, Klagenfurt, Gallspach in Oberösterreich) sowie je einem in Tschechien und der Schweiz sind rund 1000 Mitarbeiter:innen beschäftigt.
Der Jahresumsatz beträgt rund 1,5 Milliarden Euro und verteilt sich operativ auf zwei Unternehmenszweige:
Seine Stärke verdankt das Unternehmen der Tatsache, dass es einst als Genossenschaft einen breiten Rückhalt bei den Apotheken genoss. 2001 übernahm Celesio das Unternehmen in einer dubiosen Aktion an der Sanacorp vorbei, die ein grenzübergreifendes Apothekerunternehmen gründen wollte und sich eigentlich schon die Mehrheit gesichert hatte. Der spätere Celesio-Vorstand und heutige Alliance-Aufsichtsratschef Wolfgang Mähr war maßgeblich für den Deal verantwortlich. 2014 wurde Celesio durch McKesson übernommen.
In den vergangenen Jahren war Herba Chemosan mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Erst ging es um die stillen Beteiligungen an Apotheken, dann warfen Kunden dem Branchenprimus in einer Beschwerde bei der BWB vor, an der Spitze eines Großhandelskartells zu stehen, das durch künstlich erzeugte Lieferengpässe die Preise hochtreibe, um dann die Apotheken mit „absurden Rabatten“ an sich zu binden. Außerdem sei Herba aufgrund von Landeskontingenten des Mutterkonzerns für Lieferengpässe verantwortlich zu machen, so der Vorwurf.
„Wir freuen uns, gemeinsam mit der Invest AG durch die Rückholung kritischer Infrastruktur im Bereich der Medikamentenversorgung Geschichte zu schreiben“, so Windischbauer. Mit der Invest AG der Raiffeisen Invest Private Equity Gruppe sei ein vertrauenswürdiger Partner gefunden worden, der sowohl eine intelligente Gesamtlösung zur Finanzierung, aber auch ein breites Netzwerk und umfassendes Know-how mitbringe.
Herba Chemosan spiele in Österreich eine wichtige Rolle bei der Versorgung mit Medikamenten, medizinischen Produkten und jetzt in der Pandemie auch bei der Verteilung von Covid-Impfstoffen, sagt Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich. „In einem derart sensiblen Bereich, wo es um die medizinische Versorgungssicherheit in Österreich geht, sind natürlich auch die Eigentümerverhältnisse ein wichtiger Punkt. Daher freut es uns ganz besonders, dass wir dazu beitragen können, dass sich dieses Unternehmen künftig in heimischer Hand befindet.“ Die heimischen Eigentümerverhältnisse schafften zusätzliche Sicherheit in Zeiten von Pandemie und Lieferkettenproblemen.
„Das Management der Herba Gruppe hat im Rahmen seiner Partnerwahl auf unsere langjährige Erfahrung und Professionalität gesetzt. Die Raiffeisenbankengruppe Oberösterreich konnte in einem raschen Prozess eine Gesamtlösung aus Eigen- und Fremdkapital darstellen, die umfangreichen Freiraum für Expansion und Entwicklung bringt,“ sagt Reinhard Schwendtbauer, RLB OÖ-Beteiligungsvorstand und Aufsichtsratsvorsitzender der Invest AG.
Auch die Apothekerkammer (ÖAK) zeigt sich sehr erfreut über die neue österreichische Eigentümerschaft. Dass nun einer der wichtigsten Logistik-Partner der Apothekerinnen und Apotheker wieder zu hundert Prozent in rot-weiß-roter Hand sei, stärke die Versorgungssicherheit der Bevölkerung, sichere den Standort Österreich und garantiere auch weiterhin die reibungslose Belieferung aller 1400 Apotheken mit Medikamenten und Medizinprodukten innerhalb kürzester Zeit, heißt es in einer Stellungnahme. Wie wichtig eine gut funktionierende autonome Liefer- und Versorgungskette sei, zeige sich besonders in Krisenzeiten, wie der aktuellen Covid-19-Pandemie. Es handle sich um eine „hochprofessionelle Kooperation zwischen Großhandel und Apotheken“, die eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstelle.
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