Martin Shkreli hat sich mit dem Internet angelegt. Nachdem er das Toxoplasmose-Mittel Daraprim (Pyrimethamin) gekauft und den Preis auf 750 US-Dollar pro Dosis erhöht hatte, war ein regelrechter Shitstorm über den CEO von Turing Pharmaceuticals hereingebrochen. Daher dürfte die Schadenfreude nun groß sein: Ein Mitbewerber bietet jetzt das gleiche Mittel als „Rezeptur“ für nur einen Dollar pro Tagesdosis an.
Nachdem der öffentliche Druck zu groß geworden war, hatte Shkreli im September gegenüber dem Nachrichtensender NBC News erklärt, den Preis wieder senken zu wollen. Der neue Preis sei allerdings noch nicht bekannt, eine Entscheidung werde in den nächsten Wochen fallen, kündigte er an. Bislang war davon noch nichts zu hören; es scheint aber, als hätte Shkreli vielleicht etwas zu lange gewartet.
Denn das börsennotierte Pharmaunternehmen Imprimis kündigte in der vergangenen Woche an, eine deutlich günstigere Alternative zu Daraprim auf den Markt zu bringen. Das Konkurrenzprodukt enthält zusätzlich den Folsäure-Metaboliten Leucovorin und kostet in einer 100-Stück-Packung 99 Dollar. Damit kostet eine Kapsel weniger als einen Dollar.
Der Trick: Imprimis ist kein klassischer Hersteller, sondern ein Herstellbetrieb, der auf Bestellung an drei Standorten Rezepturen anfertigt. Bei Imprimis können Ärzte Kapseln mit der Wirkstoffkombination per Fax-Formular in verschiedenen Fixdosierungen bestellen, darüber hinaus gibt die Möglichkeit, individuelle Dosierungen zu ordern.
Imprimis-Chef Mark Baum sagte, es sei indiskutabel, dass die Preise für Generika zuletzt so stark gestiegen seien. Man respektiere zwar das Vorgehen von Turing, einen Patienten und Kassen einen Preis abzuverlangen, der ihnen angemessen erscheine. Es sei schließlich nicht der erste Fall, in dem ein Pharmaunternehmen ein alternativloses Arzneimittel schlagartig unerschwinglich gemacht habe. Als Reaktion darauf habe man aber das Programm „Imprimis Cares“ ins Leben gerufen: Man wolle derlei Fälle identifizieren und bezahlbare Alternativen schaffen. „Imprimis Cares“ werde in allen 50 Bundesstaaten verfügbar sein und mit allen Versorgern zusammenarbeiten, kündigte der Herstellbetrieb an.
Der Bereich der sogenannten Compounding Pharmacies hat sich in den vergangenen Jahren zu einem eigenständigen Geschäftszweig entwickelt. Die mehr oder weniger breit aufgestellten Unternehmen werden vor allem beauftragt, wenn Fertigarzneimittel nicht lieferbar oder zu teuer sind.
Vor drei Jahren waren 64 Patienten infolge einer verunreinigten Sterilrezeptur aus dem „New England Compounding Center“ (NECC) verstorben; 750 Menschen waren an Meningitis, Rücken- oder Gelenkinfektionen erkrankt. Der Vorfall hatte zu einer öffentlichen Debatte über die Branche und zu neuen Auflagen geführt.
Nachdem Turing Daraprim gekauft hatte, explodierte der Preis des Präparats über Nacht: Statt 13,50 US-Dollar (rund 12 Euro) sollte die Einzeldosis nun 750 US-Dollar (etwa 670 Euro) kosten. Patienten, Pharmabranche und Experten machten ihrer Empörung vor allem im Internet Luft.
Die Kritiker warfen dem ehemaligen Hedgefonds-Manager Shkreli vor, er mache ein Geschäft mit Schwerstkranken. Gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg rechtfertigte er sich, man habe das Arzneimittel profitabel machen müssen. Die früheren Lizenzinhaber hätten das Arzneimittel bislang verschenkt.
Eine Therapie mit bis zu 100 Tabletten habe es um die 1000 Dollar gegeben – für ein lebensrettendes Medikament. Krebsmedikamente kosteten 100.000 Dollar und mehr, argumentierte Shkreli, andere Mittel gegen Infektionskrankheiten bis zu einer halben Million. Auch der heutige Preis für Daraprim sei im Vergleich zu Mitbewerbern noch zu niedrig.
Schließlich ruderte Shkreli zurück: Man habe versucht, den Menschen begreiflich zu machen, wie es zu der Preiskalkulation komme, sei aber damit gescheitert. „Ich glaube, es ist sinnvoll, auf die Wut der Menschen mit einer Preissenkung zu reagieren.“ Shkreli sagte, der Preis würde auf ein Niveau gesenkt werden, das dem Unternehmen immer noch erlaube, Profit zu machen, aber mindestens den Break-even zu erreichen.
In der Herstellung koste Daraprim etwa einen Dollar, den höheren Ertrag habe Turing in Forschungs- und Entwicklungsarbeiten investieren wollen. „Die Patienten verdienen ein sicheres, hochwirksames Arzneimittel. Das heutige Daraprim ist sieben Jahre alt“, sagte der 32-Jährige. Man wolle an der Verbesserung des Arzneimittels arbeiten – und das koste eben viel Geld. Es sei also nur fair, den Preis zu erhöhen, das sei langfristig eine Entwicklung zum Wohle der Patienten, sagte er im Interview mit Bloomberg.
In der bisherigen Kalkulation seien auch Kosten für Marketing und Vertrieb nicht berücksichtigt. Turing sehe sich darüber hinaus als Partner der Patienten, eine Therapie mit Daraprim erfordere einen anderen Fokus, es sei schließlich etwas anderes als Schmerzmittel in der Apotheke zu kaufen, sagt Shkreli.
In einem öffentlichen Brief warnten die Gesellschaft für Infektionskrankheiten und die HIV Medicine Association vor Kostenexplosionen auf dem Rücken von HIV-Infizierten, die auf die Medikation mit Daraprim angewiesen sein könnten. Die jährlichen Kosten für eine Behandlung von Toxoplasmose könnten auf bis zu 634.500 Dollar ansteigen.
Mit seiner aggressiven Preisstrategie hat Shkreli sogar die US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton auf den Plan gerufen. Am Montag kündigte sie via Kurznachrichtendienst Twitter an, gegen die Preisexplosion bei Medikamenten vorgehen zu wollen: „Eine derartige Preiserhöhung in einem so speziellen Markt ist unerhört. Morgen werde ich einen Plan vorlegen, um dagegen vorzugehen.“ Auch der Herstellerverband PhRMA distanzierte sich von Shkrelis Praktik: „Turing Pharmaceuticals repräsentiert nicht die Werte von PhRMA-Mitgliedsunternehmen“, schrieb die Organisation auf Twitter.
Die FDA-Zulassung für Daraprim stammt von 1953. Ursprünglich wurde das Arzneimittel von Burroughs-Wellcome, heute GlaxoSmithKline (GSK), zur Behandlung von Malaria entwickelt. In Deutschland ist GSK noch heute Zulassungsinhaber.
Daraprim ist das einzige Medikament, das für die Behandlung von Toxoplasmose zugelassen ist. Die Infektionskrankheit kann vor allem für Schwangere und Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich, im schlimmsten Fall sogar tödlich sein. Generikaanbieter für den Wirkstoff Pyrimethamin gibt es in den USA bislang keine. 2010 verkaufte GSK die Marketingrechte an CorePharma, Turing kaufte das Präparat im August.
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