Die Angst vor Amazon ist allgegenwärtig: Jede noch so kleine Bewegung des Internetriesen wird in der internationalen Apotheken- und Pharmabranche aufmerksam beobachtet. Schon der Hauch einer Andeutung, dass der Konzern in den USA demnächst zum Arzneimittelversender werden könnte, schickt die Kurse der großen Kettenkonzerne auf Talfahrt. Jetzt sorgte ein Bericht für Schlagzeilen, demzufolge Amazon sich in mehreren Staaten eine Großhandelserlaubnis besorgt hat. Was der Schritt bedeutet, daran scheiden sich die Geister.
Seit Anfang des Jahres soll Amazon in zwölf Staaten die Genehmigung erhalten haben, als Zwischenhändler bestimmte Medizinprodukte und medizinische Gase vertreiben zu dürfen. Betroffen sind laut „St. Louis Post-Dispatch“ Arizona, Alabama, Conneticut, Idaho, Louisiana, Michigan, Nevada, New Hampshire, New Jersey, North Dakota, Oregon und Tennessee. Ein weiterer Antrag in Maine werde derzeit noch bearbeitet.
In vielen Fällen sei die Erlaubnis an eine Adresse in einem Vorort von Indianapolis gebunden, wo Amazon ein Logistikzentrum betreibe. Zwei Personen seien in den Dokumenten als Verantwortliche genannt: Casey Burnette, eine ehemalige Managerin des Medizintechnikherstellers Boston Scientific, und Ryan Bingham, ein ehemaliger Abteilungsleiter des Pharmacy Benefit Managers (PBM) Express Scripts.
Die Erlaubnis bedeutet freilich nicht, dass der Konzern auch mit Medikamenten handeln darf. Und auch der Versand an Endkunden ist damit nicht erlaubt. Eine Konzernsprecherin erklärte gegenüber US-Medien, dass die Lizenz benötigt werde, um entsprechende Produkte an Kunden aus dem B2B-Bereich vertreiben zu können, darunter Zahnarztpraxen und Kliniken.
So ist nach wie vor offen, wie nah Amazon einem Start im Apothekenmarkt gekommen ist. Dass sich der Konzern eine Erlaubnis als Pharmagroßhändler oder Versandapotheke beschafft, halten Beobachter für eine Frage von Wochen oder Monaten. Auch die Logistik sei – inhouse oder durch Zukauf – für die weltweite Nummer 1 im Versandhandel wohl relativ leicht auf die Beine zu stellen. Schwieriger könnte es sein, mit PBM ins Geschäft zu kommen, die als Makler für Arbeitgeber und Krankenversicherer die Arzneimitteltarife aushandeln und damit die Patientenströme steuern können. Nicht umsonst versucht die mit dem PBM Caremark verbandelte Apothekenkette CVS derzeit, sich durch eine Übernahme des Krankenversicherers Aetna abzusichern.
„Es gibt kaum ein Unternehmen, dass so gute Voraussetzungen hätte, den Apothekenmarkt auf den Kopf zu stellen, wie Amazon“, schreibt der Unternehmensberater Stephen Buck bei CNBC. Er hält es durchaus für möglich, dass der Konzern als Großhändler, Apotheke und PBM in kompletter vertikaler Integration aktiv wird. Die vor einigen Monaten übernommenen Filialen der Supermarktkette Whole Foods könnten auch eine Präsenz vor Ort ermöglichen.
Buck findet, dass der Apothekenmarkt prädestiniert für eine Disruption ist: Nur 10 Prozent aller Medikamente würden verschickt, die meisten der vier Milliarden Rezepte pro Jahr würden in einer der 60.000 Apotheken vor Ort eingelöst – obwohl es sich oft um Wiederholungsverordnungen handele, die ideal für die Lieferung nach Hause seien. „Etwas sagt mir, dass etwas Großes auf die Apotheken zukommt – und zwar bald.“
Hierzulande darf Amazon sich bereits seit einem Jahr mit dem EU-Sicherheitslogo für Arzneimittelhändler schmücken. Der Konzern hat sich im Versandhandelsregister des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) akkreditiert. Allerdings ist der Konzern nur als „sonstiger Händler“ gelistet und damit auf den Versand freiverkäuflicher Medikamente beschränkt. Noch.
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