Großkonzerne gegen Kleinstapotheken Maria Hendrischke, 23.07.2015 11:22 Uhr
Griechenland hat wirtschaftliche Schwierigkeiten – und zu viele Apotheken. Liberalisieren, empfahl die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) vor einem Jahr in einem Gutachten. Nur so könnte der Markt sich positiv weiterentwickeln.
Noch 2013 hatte Griechenland mehr als 11.000 Apotheken – und mit 1000 Einwohnern pro Apotheke die höchste Apothekendichte Europas. Anders ausgedrückt: Auf 100.000 Einwohner kamen 99 Apotheken. Dahinter folgten im europäischen Vergleich Zypern, Malta und Bulgarien mit jeweils etwas mehr als 50 Apotheken pro 100.000 Einwohner. Zwar mussten in Griechenland im vergangenen Jahr 1000 Apotheker aufgeben. Das ändert freilich nichts daran, dass die nur rund elf Millionen Einwohner immer noch durch fast halb so viele Apotheken versorgt werden wie die 81 Millionen Deutschen.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Zahl der Apotheken in Relation zum Marktvolumen setzt: Auf Basis der Herstellerabgabepreise wurden im vergangenen Jahr zwei Milliarden Euro umgesetzt – das waren wegen der Sparmaßnahmen 60 Prozent weniger als 2009, trotz steigender Packungszahl. Zum Vergleich: Der deutsche Markt ist 22,4 Milliarden Euro schwer.
Obwohl die großen Kettenkonzerne nach eigenem Bekunden wenig Interesse an Griechenland haben, empfiehlt die OECD eine weitreichende Liberalisierung des Apothekenmarktes. Sowohl Fremd- als auch Mehrbesitzverbot sollen weg: Solange ein Apotheker verpflichtend die Medikamentenabgabe übernehme, sei die Arzneimitteltherapiesicherheit gewährleistet, so die Experten. Da fachlich gute Apotheker nicht unbedingt die besten Geschäftsführer seien, könnte bei einer Liberalisierung mehr Kapital in den Apothekenmarkt gelangen.
Ohne horizontale Integration blieben Apotheken Kleinunternehmen – und aus diesen kämen selten Innovationen, so die Argumentation der OECD. Ketten dagegen könnten ihre Filialen effizienter führen und eine größere Auswahl von Freiwahlprodukten günstiger anbieten.
Zugleich gab es in Griechenland demografische und geografische Beschränkungen für Apothekengründungen, die zuletzt bereits gelockert wurden. Pro Kommune mit 1000 Einwohnern darf es derzeit nur eine Apotheke geben, in größeren Gemeinden musste zwischen zwei Apotheken ein Abstand von mindestens 200 Metern eingehalten werden. Die OECD riet der Troika, zumindest die geografische Beschränkung aufzuheben: Es sei fraglich, ob diese praktisch überhaupt angewandt werde. Die demografische Regel solle dagegen beibehalten werden – was das gesamte Reformpaket ad absurdum führt, da sich Kettenkonzerne in dem ohnehin überfüllten Markt gar nicht entfalten könnten.
Auch zum Apothekenpersonal gibt es in Griechenland Richtlinien. Auf drei qualifizierte Hilfskräfte muss ein Apotheker kommen. Wenn ein Apotheker eine vierte Hilfskraft benötigt, muss demnach zugleich ein zusätzlicher Apotheker eingestellt werden. Das bemängelte die OECD als geschäftsschädigend. Stattdessen verlangen die Gutachter, dass Apothekeninhaber ihr Personal nach Bedarf einstellen dürfen.
Ein von der OECD stark kritisierter Aspekt waren die Öffnungszeiten: Griechische Apotheken durften bislang an den Werktagen nur von 8.30 bis 14.30 Uhr öffnen – sowie am Dienstag, Donnerstag und Freitag zusätzlich zwischen 18.00 und 21.00 Uhr. An Sonn- und Feiertagen blieben Apotheken geschlossen. Notdienst leistende Apotheken sicherten die Nacht- und Wochenendversorgung.
Mit einer ersten Lockerung dieser Vorgaben wurde Apotheken gestattet, auch an den anderen Werktagen abends zu öffnen. Jedoch mussten sich die Apotheker diese zusätzlichen Öffnungszeiten halbjährlich bindend anmelden – bei Nicht-Einhaltung wurden Strafen fällig. Zugleich mussten sich die Öffnungszeiten mit den Notdiensten übereinstimmen. Eine Apotheke konnte also nicht beschließen, von 8.30 bis etwa 18.00 Uhr zu öffnen. Stattdessen musste sie entweder bis 23.00 oder 8.30 Uhr des Folgetages Dienst leisten.
Diese Regelung behindert laut OECD längere, geschäftsfördernde Öffnungszeiten. Der Wettbewerb zwischen Apotheken werde mit den Vorgaben unterbunden. Die geltenden Zeiten schränkten zugleich den Kunden ein, da Medikamente ausschließlich in Apotheken verkauft werden. Die OECD empfahl daher, das Öffnungszeiten-Modell flexibler zu gestalten. Die europäischen Geldgeber haben dies als Forderung in ihren Reformkatalog an Griechenland übernommen.
Bislang dürfen OTC-Medikamente nur in Apotheken verkauft werden. Die Geldgeber fordern nun auf Anraten der OECD, die rezeptfreien Medikamente auch in Supermärkten oder Tankstellen anzubieten. Das liegt wohl im Interesse der Supermärkte: 2014 wurden in Griechenland mit rezeptfreien Medikamenten auf Basis von Großhandelspreisen knapp 331 Millionen Euro Umsatz erzielt. In Deutschland liegt der Umsatz mit OTC-Medikamenten nach Endverbraucherpreisen bei 6,5 Milliarden Euro.
Nicht aufgefallen sind den OECD-Experten dagegen die Beschränkungen auf der vorgelagerten Handelsstufe– entsprechend sind hier keine Änderungen vorgegeben. Der Großhandelsmarkt ist atomistisch strukturiert, denn laut Gesetz darf jeder Lieferant nur ein Warenlager betreiben. Aktuell versorgen 100 Zwischenhändler die Apotheken. 2013 waren es noch 120.
Der Präsident des europäischen Apothekerverbands PGEU, Darragh J O’Loughlin, zeigt sich besorgt über die Reformen des griechischen Apothekenmarkts, die von den Geldgebern verfolgt werden. Die Organisation des Gesundheitswesens, einschließlich der Apotheken, sollte Aufgabe der einzelnen Staaten bleiben. Er kritisiert, dass die Troika weder die angesetzten Maßnahmen öffentlich erklärt, noch die Ziele der Reformen umrissen habe.