„Die Apotheken werden von uns finanziert“ Maria Hendrischke, 27.06.2015 07:45 Uhr
-
Großhändler finanzieren Apotheken: Irene Markaki, Präsidentin des griechischen Großhandelsverbands, sorgt sich um die Zukunft ihres Landes. Sie hofft, dass mit Brüssel im Reformstreit bald eine Einigung gefunden werden kann. Eine noch angespanntere politische Lage hätte Konsequenzen für die ganze Welt, sagt sie. Foto: PAPW
In den kommenden Tagen entscheidet sich das Schicksal von Griechenland in der EU. Es geht um fünf Milliarden Euro – und um weitere Reformen, die Ministerpräsident Alexis Tsipras (Syriza) und seinem Volk abverlangt werden. Radikale Einschnitte hat es auch im Arzneimittelbereich bereits mehrfach gegeben. Irene Markaki, Vorsitzende des Verbands der Pharmagroßhändler, erklärt, warum sie und ihre Kollegen die Apotheken derzeit mitfinanzieren und warum ein Grexit ganz Europa gefährden würde.
ADHOC: Wie geht es den Apothekern in Griechenland?
MARKAKI: Schlecht. Bislang hatten wir die höchste Apothekendichte in Europa: Eine Apotheke versorgte weniger als 1000 Menschen; in Deutschland liegt dieses Verhältnis bei 1:3000. Da bleibt nicht viel Luft für Einsparungen. Etwa 1000 der vormals 11.000 Apotheken mussten schon schließen, weitere 1000 werden wohl in diesem Jahr folgen.
ADHOC: Was sind die Folgen für die Großhändler?
MARKAKI: Wenn Apotheken schließen, bleiben wir in der Regel auf Kosten sitzen. Hinzu kommt, dass wir grundsätzlich bis zu 90 Tage auf unser Geld warten – denn so lange dauert es, bis die Apotheker ihr Geld von den Krankenkassen erhalten. In dieser Zeit kann sich die wirtschaftliche Lage einer Apotheke grundlegend ändern – im Extremfall liefern wir drei Monate lang weiter, bis wir merken, dass der Kunde eigentlich zahlungsunfähig ist.
ADHOC: Wie kulant sind die Pharmahersteller?
MARKAKI: Die interessieren unsere Probleme nicht. Zwei von drei Herstellern wollen spätestens nach 60 Tagen ihr Geld, manche sogar bereits nach 30. Und wir als Großhändler müssen pünkltich zahlen, sonst werden wir von den Lieferungen abgeschnitten. Wir werden derzeit zerrieben: Wir wollen Medikamente liefern und müssen dafür die Hersteller bezahlen, können uns aber gleichzeitig nicht auf die Zahlungen der Apotheker verlassen. Ganz grundsätzlich kann man sagen: Die Apotheken werden von uns derzeit finanziert – was unsere laufenden Kosten immens steigen lässt.
ADHOC: Woher nehmen Sie das Geld?
MARKAKI: Das ist ein Problem. Weil wir uns in einer so unsicheren Lage befinden, sind natürlich auch unsere Finanzierungskosten sehr hoch. Ich habe mit einem Kollegen aus Portugal gesprochen: Als die Troika dort war, zahlte er etwa 5 Prozent Zinsen, inzwischen sind es 1,2 Prozent. Hier in Griechenland zahlen wir Großhändler derzeit zwischen 7 und 8 Prozent!
ADHOC: Welche staatlichen Eingriffe mussten Sie bereits stemmen?
MARKAKI: Wegen der drastischen Sparmaßnahmen ist der Arzneimittelmarkt um 60 Prozent geschrumpft: 2009 wurden auf Basis der Herstellerabgabepreise 5,6 Milliarden Euro umgesetzt, im vergangenen Jahr waren es nur noch zwei Milliarden Euro – bei steigender Packungszahl. In diesem Zeitraum wurden sechs Preissenkungen für Medikamente angeordnet. Das hatte zur Folge, dass unser Warenlager mehrfach von einem Tag auf den anderen drastisch an Wert verloren hat. Zudem wurde unsere Marge in dem Zeitraum von 7,7 auf 4,5 Prozent gekürzt. Parallel sind die Unternehmenssteuern zwischen 10 und 15 Prozent angestiegen, was sowohl für uns Großhändler als auch für die Apotheker die Situation weiter verschlimmert hat.
ADHOC: Wie viel Luft haben Sie noch?
MARKAKI: Wir befinden uns aktuell in einem sehr schwierigen Umfeld. Jeder zehnte Großhändler musste bereits aufgeben. Wenn sich nichts ändert, werden sicherlich weitere Schließungen folgen. Wir können nicht rationalisieren, denn in Griechenland darf jeder Großhändler nur eine Niederlassung betreiben, deshalb gibt es auch circa 100 Firmen. Gleichzeitig haben wir keine Chance, unser Geschäft auszuweiten: Hochpreiser werden inzwischen ausschließlich über Krankenhäuser abgegeben – und zwar subventioniert auf ein Niveau unter dem Herstellerabgabepreis.
ADHOC: Funktioniert die medizinische Versorgung in Griechenland noch?
MARKAKI: 1,5 Millionen Griechen haben in der Krise ihren Job verloren, das ist für unser kleines Land ein extreme Zahl. Diese Menschen können ihre Krankenversicherung oft nicht mehr bezahlen, kaum jemand kann sich noch private Ärzte oder Kliniken leisten, wodurch die staatlichen Krankenhäuser überlastet sind. So hat unser Gesundheitssystem mit steigenden Kosten zu kämpfen – ein Teufelskreis. Mittlerweile bieten Ärzte aus allen Fachbereichen außerhalb ihrer Dienstzeiten kostenlose Behandlungen an. Und es gibt Sozialapotheken, die von den Städten und Kirchen getragen werden und in denen ehrenamtliche Helfer gespendete Medikamente kostenlos abgeben. Ich habe mir nie vorstellen können, dass es im Europa des 21. Jahrhunderts einmal soweit kommt.
ADHOC: Wie sinnvoll sind die Forderungen der Troika?
MARKAKI: Die Vorschläge machen keinen Sinn. Vor ein paar Jahren haben die Geldgeber veranlasst, noch mehr Lizenzen für Apotheken herauszugeben – das war nicht nur für die Versorgung überflüssig, sondern für aus wirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv. Aktuell wird diskutiert, OTC-Medikamente aus der Apothekenpflicht zu entlassen. Das verstehe ich genauso wenig; ich halte es für einen großen Fehler: Das ist die einzige Warengruppe, die den Apotheken sofort Geld bringt. Wenn ihnen diese durch die Liberalisierung auch noch genommen wird, werden viele nicht überleben. Das ist doch nicht im Sinne der Patienten. Meine Hoffnung ist, dass die Apotheker die gesellschaftliche und damit die politische Meinung beeinflussen können.
ADHOC: Wie steht die griechische Regierung zu den Plänen?
MARKAKI: Syriza hat vor der Wahl versprochen, dass OTC-Medikamente in der Apotheke bleiben. Genau deswegen wurde Alexis Tsipras von vielen Apothekern gewählt. Auch Gesundheitsminister Panagiotis Kouroumpli hat sich gegen eine Liberalisierung ausgesprochen. Aber ich gehe davon aus, dass dies Teil der Vereinbarung mit der Troika ist. Wir sind derzeit kein freies Land. Wir können nicht unabhängig entscheiden, sondern müssen uns nach den Vorgaben aus Brüssel richten. Und ich vermute, dass dort die Interessen einiger weniger Gruppen vertreten werden, vielleicht die der Supermarktbetreiber.
ADHOC: Welche Wege aus der Krise sehen Sie?
MARKAKI: Wir brauchen als Unternehmer in Griechenland eine bessere wirtschaftliche Grundlage – und wir müssen verstärkt zusammenarbeiten: Alle Akteure der Gesundheitsbranche müssen sich gegenseitig unterstützen und die jeweiligen Probleme verstehen. Derzeit kann ich nichts längerfristig planen und nur hoffen, dass mein Unternehmen morgen überhaupt noch existiert! Ich warte auf die Vereinbarungen der Regierung mit der Troika und hoffe, dass sie schnell zu einer Einigung finden. Wir sind alle erschöpft; Griechenland leidet. Es ist schrecklich.
ADHOC: Wie stehen Sie zu Europa?
MARKAKI: Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir Griechen zu Europa gehören und dass auch Europa Griechenland braucht. Aber ich mache mir große Sorgen um die Zukunft meines Landes. Unsere Situation macht mich traurig, sie ist wie ein nicht endender Albtraum. Nach den langen Diskussionen zwischen meinem Land und Brüssel liegen die Positionen nun so nah beieinander. Es wäre eine Schande, wenn jetzt keine Einigung gefunden wird und dieser Streit beide Seiten in eine noch angespanntere wirtschaftliche und politische Lage bringt. Denn das hätte Auswirkungen für die ganze Welt.