Human-Challenge-Studie in London

Freiwillige mit Corona infiziert dpa/ APOTHEKE ADHOC, 08.03.2021 10:16 Uhr

Im Zuge einer Human-Challenge-Studie werden in London Freiwilige mit Sars-CoV-2 infiziert. Foto: Naeblys/shutterstock.com
Berlin - 

Absichtlich mit Corona infiziert: In einer „sicheren und kontrollierten“ Umgebung testen Forscher in Großbritannien die Auswirkungen des Virus auf gesunde, junge Menschen. Das Vorgehen ist hoch umstritten.

In Großbritannien sind die ersten Freiwilligen im Zuge einer Studie mit Sars-CoV-2 infiziert worden. Mithilfe dieser Tests an gesunden Probanden wollen Forscher das Coronavirus besser verstehen. Die sogenannten Human-Challenge-Analysen hätten am Samstag begonnen, bestätigte das britische Gesundheitsministerium in London. Nach früheren Angaben der britischen Regierung handelt es sich um die erste Studie weltweit, bei der Menschen gezielt mit Sars-CoV-2 infiziert werden. Sie sollen zunächst die geringste mögliche Dosis an Viren zugeführt bekommen, die für eine Infektion notwendig ist.

Die Human-Challenge-Analysen sind hoch umstritten. Diese Tests kamen in der Vergangenheit zum Beispiel bei der Entwicklung von Grippe- oder Malaria-Impfstoffen zum Einsatz. Allerdings wurde den Probanden dabei – anders als nun bei der britischen Studie – zunächst ein potenzieller Wirkstoff verabreicht. In Deutschland gelten ähnliche Versuche als unwahrscheinlich. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) lehnt sie als unethisch ab. Zudem gebe es medizinische Vorbehalte: „Challenge-Studien zeigen vielleicht ein verfälschtes Bild, da Erkenntnisse, die nur mit jungen, gesunden Menschen gewonnen wurden, möglicherweise nicht auf Ältere und chronisch Kranke übertragbar sind“, betont der Verband. Künstlich herbeigeführte Ansteckungen entsprächen nicht den echten Infektionen im Alltag.

Die Probanden würden „in einer sicheren und kontrollierten Umgebung dem Virus ausgesetzt, rund um die Uhr überwacht von Medizinern und Wissenschaftlern“, hieß es nun von britischer Seite. Bis zu 90 Freiwillige zwischen 18 und 30 Jahren sollten bei den Tests dem Virus ausgesetzt werden. Die Probanden würden nicht zuvor geimpft, hatte die Regierung bei der Ankündigung der Tests klargestellt. Sie sollen für die Testdauer eine nicht näher genannte Entschädigung erhalten.

„Die erste Gruppe von Freiwilligen hat nun am Royal Free Hospital in London mit der Virus-Charakterisierungs-Studie begonnen“, sagte die Ministeriumssprecherin. „Das Human-Challenge-Programm wird die Entwicklung von Impfstoffen und Behandlungen gegen Covid-19 verbessern und beschleunigen.“ Vorab hatte es geheißen, die Wissenschaftler wollten unter anderem herausfinden, wie das Immunsystem auf das Virus reagiert und wie Infizierte Viruspartikel in die Umgebung abgeben. Konkret solle in der Studie ermittelt werden, welche die geringstmögliche Viruslast ist, die eine Infektion auslösen kann, so das Gesundheitsministerium. Dabei werde allerdings die Virusvariante verwendet, die seit März 2020 in Großbritannien zirkuliert, nicht die ansteckendere „britische Mutation“ B1.1.7.

Die Studie werde eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Impfstoffen spielen, hatte die Regierung angekündigt. In Folgestudien könnten Probanden mit einem neuen Wirkstoff geimpft und dann dem Virus ausgesetzt werden. Dieses Vorgehen bei der Erprobung von Impfstoffen hat den Vorteil, dass die Wirksamkeit vergleichsweise effizient getestet werden kann. Das übliche Verfahren sieht hingegen vor, Zehntausende zu impfen und dann zu schauen, ob sich weniger Menschen auf natürliche Weise infizieren als in einer ungeimpften Kontrollgruppe.

Großbritannien ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder Europas. Bisher sind offiziellen Angaben zufolge mehr als 124.000 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben. Seit knapp drei Monaten läuft eine Massenimpfung. Bisher ist landesweit mehr als 22,2 Millionen Menschen eine Dosis gespritzt worden. Für den vollen Schutz ist aber eine zweite Impfung nötig. Diese haben bisher etwa 1,1 Millionen Menschen erhalten.