Die französische Wettbewerbsbehörde Autorité de la Concurrence spricht sich für grundlegende Reformen und eine weitreichende Liberalisierung des französischen Apothekenmarktes aus. Die Apotheker der Grande Nation leiden unter ähnlichen Problemen wie ihre deutschen Kollegen; aus Sicht der Wettbewerbsbehörde liegt das vor allem an einem zu engen regulatorischen Korsett. Sie empfiehlt deshalb Deregulierung beim Apothekenbesitz, der Arzneimittelwerbung und Apothekenpflicht, eine Reform des Groß- sowie eine Liberalisierung des Versandhandels – eines der Vorbilder ist ausgerechnet Deutschland.
In der Bestandsaufnahme verweist die Autorité auf den Ernst der Lage: „Seit vielen Jahren erleben die Apotheken in Frankreich eine relative Erosion ihrer finanziellen Profitabilität.“ Hinzu kommen „grundlegende und schnelle Veränderungen“ wie die Entwicklung der Telemedizin, der Wille des Gesetzgebers und der Öffentlichkeit, neue Aufgabenbereiche für Apotheken zu definieren oder das Wachstum des Online-Arzneimittelhandels in ganz Europa.
Da dem Apothekensektor eine „besondere Bedeutung für die französische Wirtschaft“ zukomme, sah sich die Behörde bereits Ende 2017 dazu veranlasst, auf eigene Initiative hin eine mehrmonatige Untersuchung einzuleiten, um Reformbedarf und -möglichkeiten auf dem Apothekenmarkt zu eruieren. Die Ergebnisse schmecken den meisten französischen Apothekern jedoch gar nicht, wie die Mehrzahl der Verbände des Landes in einer gemeinsamen Stellungnahme ausführen.
So empfiehlt die Autorité eine Stärkung des Internethandels. Ein Grund für die zurückgehende Profitabilität sei, dass die Apotheken stark von der Abgabe erstattungsfähiger Rx-Präparate abhingen. 72 Prozent des Umsatzes machen diese aus. Versuche des Gesetzgeber, die Kosten im Gesundheitssystem zu senken, führten jedoch zu fallenden Arzneimittelpreisen. Wachsende Konkurrenz durch Parapharmazien und Drogerien mit ihren geringeren Kosten für Einkauf und Logistik tragen ihren Teil bei. Deshalb solle den Apotheken die Möglichkeit gegeben werden, durch den Online-Versand ein Zubrot zu verdienen.
Denn obwohl der Online-Handel seit 2012 erlaubt ist, seien die Apotheken aufgrund enger regulatorischer Vorschriften nicht in der Lage, „sich zu entwickeln und mit ihren europäischen Kollegen zu konkurrieren“. Dies habe zu einer „Unterentwicklung des Online-Handels mit Arzneimitteln“ in Frankreich geführt, den die Autorité mit einem Vergleich illustriert: Nur 1 Prozent der OTC-Medikamente in Frankreich würden online verkauft, in Deutschland seien es hingegen 14 Prozent. Die Online-Versender in den Nachbarländern, speziell in Belgien, würden einen Vorteil aus der Situation in Frankreich ziehen.
Der Vertrieb per Website solle deshalb erleichtert werden, unter anderem dadurch, dass Arzneimittellager nicht mehr wie bisher eng an die Apotheke angebunden sein müssen. So könnten die Betriebe die für den Online-Versand notwendige Lagerfläche aufbauen. Außerdem denkt die Behörde an ein Plattform-Konzept: Es solle erlaubt werden, eine gemeinsame Website aufzubauen, an der alle Apotheken teilhaben und ihre Waren feilbieten können. Dass Zur Rose – bekanntlich kein französisches Unternehmen – erst vergangenen Monat mit Doctipharma eine ebensolche Plattform gekauft und so einen Fuß im französischen Markt hat, erwähnt die Behörde dabei nicht.
Ebenfalls zu einer Effizienzsteigerung würde es demnach beitragen, wenn nicht mehr wie bisher für je 1,3 Millionen Euro Umsatz ein stellvertretender Apotheker eingestellt werden muss. „Die Beschränkungen im Online-Versand von Arzneimitteln aufzuweichen würde es französischen Apotheken erlauben, in derselben Liga zu spielen wie europäische Webseiten“, so die Behörde.
Dazu müsse auch das Werbeverbot für Arzneimittel gelockert werden. Die Autorité hat festgestellt, dass die Regeln für die Werbung von Apotheken sehr viel strikter seien als die für Wettbewerber wie Drogerien – und zwar „ohne dass es aus Sicht der öffentlichen Gesundheit einen Grund gäbe, der diese Einschränkung rechtfertigt“. Auch die Beschränkungen, für die Apotheke selbst zu werben, sollten aufgehoben werden, insbesondere mit Blick auf angebotene Dienstleistungen.
Doch auch die Finanz- und Besitzstruktur sei eine Ursache für die Misere vieler Apotheken. Bisher kann ein Pharmazeut nur eine Apotheke besitzen und Minderheitsbeteiligungen in einer geringen Zahl von Apotheken haben. Diese strengen Vorgaben führen demnach dazu, dass viele Apotheken ihren finanziellen Bedarf für Ausbau- und Weiterentwicklung nicht decken können. Deshalb sei man der Auffassung, „dass Frankreich den Pfad einer kontrollierten Öffnung des Kapitals der Apotheken verfolgen könnte“. Es gebe mehrere mögliche Maßnahmen, mit denen da Abhilfe geschaffen werden könne, von der Erhöhung der möglichen Anteile, die ein Apotheker halten darf, bis zur Öffnung für Fremdinvestoren.
Ebenfalls auf dem Wunschzettel der Wettbewerbsbehörde ist eine teilweise Aufhebung der Apothekenpflicht. So sollen bestimmte OTC-Arzneimittel, die vom Arzt optional verschrieben werden können – als Beispiele werden Erkältungsmittel oder Mittel gegen leichte Wunden genannt – zukünftig in Parapharmazien und Drogerien abgegeben werden dürfen. Auch bisher apothekenpflichtige ätherische Öle, Selbsttests und Medizintechnik wie Blutdruckmessgeräte könnten unter diese Kategorie fallen. Allerdings: Ein qualifizierter Apotheker müsse dann zur Aufsicht vor Ort sein. Eine ähnliche Einschränkung war in Italien zum Bumerang geworden und hatte schließlich zu einer weiteren Liberalisierung auf Druck der Supermärkte und OTC-Shops geführt.
Die Zeit, die die Apotheken am Verkauf dieser Produkte sparen, sollen sie sich neue Aufgabenfelder erschließen können: Die Behörden sollen demnach prüfen, in welchen Bereichen neue Dienstleistungen möglich sein. Als Beispiel nennen die Wettbewerbshüter Tests auf nicht-übertragbare Krankheiten oder Infektionen.
Doch nicht nur die Apotheken, auch die Großhändler würden nach dem Willen der Behörde grundlegende Veränderungen ereilen. Denn zwar komme den Intermediären in der Versorgungskette eine entscheidende Bedeutung zu, doch seien die Konditionen, die sie erhalten, weniger vorteilhaft als die der Apotheken – obwohl diese in weitaus geringeren Mengen bei den Herstellern bestellen.
Es könne auf lange Sicht die wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Großhändler beeinträchtigen, wenn sie nicht in der Lage seien, die Kosten für ihre hoheitliche Aufgabe – die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln – zu stemmen. Der Gesetzgeber sei deshalb angehalten „das Gesamtmodell des Großhandels und insbesondere dessen Vergütung zu überdenken. Statt einer Vergütung, die auf Arzneimittelpreisen basiert, solle auf Grundlage der Abgabepreise vergütet werden.
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