Keine Gewissensklausel für Apotheker Maria Hendrischke, 18.08.2016 09:16 Uhr
Französische Ärzte, Krankenpfleger und Hebammen haben sie, Apotheker dagegen nicht: eine Gewissensklausel im Ethikkodex ihres Berufsstands. Sie gestattet Heilberuflern, bestimmte Dienste am Patienten aus Gewissensgründen zu verweigern. Der Ethikkodex der Apotheker enthielt bislang keine derartige Klausel. Die französische Apothekerkammer fragte seine Mitglieder, ob sie einen solchen Passus befürworten würden. Daraus entwickelte sich eine öffentliche Debatte um die Verweigerung von Notfallkontrazeptiva. Die Kammer machte nun einen Rückzieher.
Der aktuell geltende Ethikkodex entstand 1995; er soll modernisiert werden. Unter den 77 Artikeln des neuen Entwurfs befand sich auch eine sogenannte Gewissensklausel. Darin hieß es unter anderem: „Der Apotheker kann die Ausführung einer pharmazeutischen Handlung verweigern, die sich gegen das menschliche Leben richtet.“ Darüber müsse der Patient informiert werden und unverzüglich an einen anderen Apotheker verwiesen werden. Sollte das nicht umsetzbar sein, ist der Apotheker angehalten, die Handlung selbst durchzuführen. Die Klausel wurde bereits im vergangenen Dezember 75.000 Apothekern zur Online-Kommentierung vorgelegt.
Ursprünglich ging es mit dem Artikel darum, Apothekern die Möglichkeit zu geben, die Behandlung mit lebensbeendenden Medikamenten zu verweigern. Im März 2015 wurde in Frankreich ein Gesetz zur Sterbehilfe verabschiedet, das den Tod durch das sedierende Medikament Midazolam erlaubt. Dabei kann ein sterbender Patient in einen tödlichen Tiefschlaf versetzt werden, wenn dafür eine Verfügung vorliegt.
Von den 75.000 Apothekern beteiligten sich etwa 3400 an der Abstimmung. 85 Prozent davon sprachen sich für die Klausel im Kodex aus. Gilles Bonneford, Präsident der Gewerkschaftsunion der Apotheker, wies zudem darauf hin, dass sich Kollegen in Belgien, Spanien und Québec bereits auf eine Gewissensklausel zurückziehen könnten.
Doch in der Öffentlichkeit, insbesondere in den sozialen Medien, entwickelte sich eine kontroverse Debatte um den Passus. Frankreichs Familienministerin Laurence Rossignol erkannte darin eine Möglichkeit für Apotheker, nicht nur Sterbehilfe, sondern auch Kontrazeptiva zu verweigern – und damit in Frauenrechte einzugreifen.
Auch Apotheker kritisierten die Klausel, beispielsweise auf Twitter: Sie ließe sich zu weit auslegen. Neben der Verweigerung von passiver Sterbehilfe und Verhütungsmitteln könnten Apotheker auch gegen die Abgabe von Methadon oder hohen Dosen an Schmerzmitteln Gewissensgründe anführen.
Die Klausel habe sich ausschließlich auf pharmazeutische Hilfe zum Lebensende bezogen, erklärte Dr. Isabelle Adenot, Präsidentin des Nationalrats der Apothekerkammer. Niemals habe man damit Frauenrechte einschränken wollen.
Obwohl die Apotheker der Klausel bereits mehrheitlich zugestimmt hatten, ordnete die Apothekerkammer nach der losgetretenen Debatte eine weitere Abstimmung über den Artikel an. Bis zum 31. August sollten sie erneut über die Klausel entscheiden.
Doch am 21. Juli veröffentlichte die Kammer eine weitere Mitteilung: Die Kommentierung werde sofort ausgesetzt. Der Kammerversammlung werde darüber hinaus empfohlen, keine Gewissensklausel in den Kodex aufzunehmen. Denn die Frauenrechte müssten in jedem Fall geschützt werden, begründete die Kammer die Entscheidung. Am 6. September soll der Rat der Kammer final über die Klausel entscheiden.
Schon im derzeit geltenden Ethikkodex haben die französischen Apotheker Artikel, die sie vor Handlungen schützen, die sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können. So dürfen Apotheker zum Beispiel die Abgabe gesundheitsschädigender Medikamente verweigern. In der deutschen Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) besteht für Medikamente, die verordnet wurden, ein Kontrahierungszwang. Aus Gewissensgründen etwa die „Pille danach“ nicht abzugeben, ist schwierig. Denn nur pharmazeutische Bedenken würden die Verweigerung der Abgabe rechtfertigen.