Arzneimittelengpässe und Lieferausfälle sind nicht nur in Deutschland ein wachsendes Problem: Dem europäischen Apothekerverband PGEU zufolge hat sich die Situation innerhalb des vergangenen Jahres nur in 2 von 21 betrachteten europäischen Staaten verbessert, in acht spitzte sich die Situation zu, in elf Staaten blieb sie auf Vorjahresniveau. In einem Positionspapier stellt der Verband deshalb fünf konkrete Forderungen an die Mitgliedsstaaten und ihre Behörden, darunter auch eine Vergütung für den zusätzlichen Aufwand, den das für die Apotheker mit sich bringt.
5,6 Stunden pro Woche: So viel Zeit bringt ein europäischer Apotheker im Durchschnitt auf, um die Folgen von Lieferengpässen und -ausfällen zu managen. Mit einer jährlichen Erhebung untersucht die PGEU, wie sich die Situation von Arzneimittelengpässen in Europa entwickelt. Die Ergebnisse sind wenig erfreulich: In jedem der 21 untersuchten Mitgliedsländer gab es demnach im vergangenen Jahr Arzneimittel, die aufgrund von Ausfällen mindestens kurzfristig nicht abgegeben werden konnten. Ein drastisches Beispiel ist Portugal: Dort gab es dem nationalen Apothekerverband ANF zufolge eine Zunahme von 38,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
„Engpässe zu bewältigen ist in den vergangenen Jahren leider zu einer alltäglichen Beschäftigung von Apothekern in Europa geworden“, so der seit Jahresanfang amtierende PGEU-Präsident Michał Byliniak. Das führe nicht nur zu Verunsicherung auf Patientenseite, sondern habe auch negative Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung. Denn es sei „nicht nur eine finanzielle Belastung, sondern auch eine Verschwendung von Möglichkeiten, wenn die dafür aufgewandte Zeit nicht zur Betreuung des Patienten genutzt werden kann“.
Zahlen aus verschiedenen Ländern bezeugen, welch starke Auswirkungen die Engpässe auf die Therapie haben: So zitiert die PGEU aus einer Studie der französischen Patientenorganisation France Assos Santé vom Dezember, wonach ein Viertel der Patienten in Frankreich bereits die Erfahrung gemacht hat, dass sie ein verordnetes Arzneimittel aufgrund von Engpässen nicht erhalten haben, 22 Prozent in der Apotheke, 3 Prozent in Krankenhäusern. 45 Prozent der Betroffenen mussten deshalb die Therapie hinauszögern, ändern oder gar beenden. Zu den Folgen gehörte eine Verschlimmerung der Symptome bei 14 Prozent sowie neue Nebenwirkungen oder gar die Einlieferung in ein Krankenhaus bei jeweils 4 Prozent.
„Es besteht dringender Bedarf nach konkreten und koordinierten politischen Maßnahmen sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene“, schlussfolgert Byliniak, „um die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sicherzustellen, die Kommunikation und Kooperation zwischen Akteuren in der Lieferkette und den Behörden zu verbessern sowie die Apotheker in ihrer Fähigkeit zu stärken, Patienten Lösungen zu bieten.“ Eine besondere Bedeutung komme dabei dem Informationsfluss zu, so das PGEU-Paper: Es müsse sichergestellt werden, dass sowohl die Apotheker ausreichenden Zugang zu Daten für den Austausch von Präparaten haben als auch umgekehrt Daten schnell und umkompliziert in zentrale Verzeichnisse einspeisen können. Da gebe es innerhalb Europas große Unterschiede. Generell gelte, dass diese Meldesysteme für alle Akteure innerhalb der Lieferkette offen sein müssen. Positive Beispiele seien Frankreich und Irland.
An die EU, ihre Mitgliedstaaten und die Akteure innerhalb der Lieferkette gerichtet erhebt die PGEU deshalb fünf Forderungen: So sollen einerseits nationale Gesundheitspolitiken und -strategien auf den Nutzen für die Versorgungssicherheit der Patienten fokussiert werden und die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Apotheker ihrem Versorgungsauftrag erfüllen können. Zweitens sollen die Kompetenzen der Apotheker im Falle von Engpässen erweitert werden: So müsse im Falle der Nichtlieferbarkeit gewährleistet sein, dass Pharmazeuten selbstständig eine Substitution der nicht lieferbaren Arzneimittel durchführen können.
Drittens müsse die Kommunikation innerhalb der Gesundheitssysteme verbessert werden, dazu gehöre der Zugang zu Informationen über Engpässe für alle Akteure der Lieferkette sowie deren frühe Erkennung und zentrale Erfassung. Viertens müssten demnach neue Vergütungsmodelle geschaffen werden, die einen finanziellen Ausgleich der Aufwendungen ermöglichen, die Apotheker durch Engpässe entstehen. „Die Ressourcen, die Apotheker und Apotheken investieren, sollten gleichermaßen anerkannt und wertgeschätzt werden“, so das Paper. Und fünftens sei schließlich eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der europäischen Arzneimittelagentur EMA notwendig, um effektive Systeme zur Meldung, Überwachung und Information bei Arzneimittelengpässen zu gewährleisten.
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