Der Pharmakonzern Novartis hat eine Gentherapie gegen die Erbkrankheit spinale Muskelatrophie (SMA) Typ 1 präsentiert, eine schwere Form von Muskelschwund. Fast alle Kinder, die an der seltenen Erkrankung leiden, sterben vor ihrem zweiten Geburtstag. Der Haken: Eine einzige Spritze soll vier Millionen Dollar und in der Schweiz vier Millionen Franken kosten. Nun wird im Alpenland heftig darüber diskutiert, ob ein Medikament so viel kosten darf.
Betroffene können weder sitzen, noch den Kopf halten noch sich drehen. Sie können kaum atmen, schlucken, husten: Die Spinale Muskelatrophie (SMA) Typ I ist eine grausame Krankheit. Heute sterben fast alle, die mit der Erkrankung geboren werden vor ihrem zweiten Lebensjahr durch Versagen der Atemmuskulatur. Eines von 10.000 Kindern wird laut Orphanet mit dem Typ 1 der spinalen Muskelatrophie geboren.
Jetzt hat der Pharmakonzern Novartis ein Medikament vorgestellt, dass das Leben der betroffenen Kinder massiv verbessern und verlängern könnte. Die Zulassung wurde in der EU, den USA und Japan beantragt, in der Schweiz steht dies noch aus. Mit der neuen Gentherapie sollen die Kinder durchschnittlich dreizehn Jahre länger leben. Laut einer klinischen Studie lebten alle 15 mit der Gentherapie AVXS-101 behandelten Kinder nach zwei Jahren noch. 11 von 12 Kindern, denen eine höhere Dosis appliziert wurde, konnten sitzen, sich normal ernähren und sprechen, zwei sogar laufen.
Im Rahmen der Behandlung wurde ein gesundes Gen in ihre Körper eingeschleust. Dieses stoppt das fehlerhafte Eiweiß, das für die schwere Muskelkrankheit verantwortlich ist. Denn den SMA-Patienten fehlt ein wichtiges Gen im Erbgut, das sogenannte survival motor neuron Gen (SMN1). Der Verlust des Stoffes, der von diesem Gen gebildet wird (SMN1-Protein), bewirkt den Untergang der Motoneuronen im Rückenmark, wodurch die Muskeln nicht mehr innerviert werden und es zur Muskelschwäche und zum Muskelschwund kommt.
Notwendig ist eine einzige Infusion. Der Haken: Sie könnte vier Millionen Dollar und in der Schweiz vier Millionen Franken kosten, wie die Sonntagszeitung mit Verweis auf die Novartis-Investorenkonferenz berichtete – so viel wie keine Therapie zuvor. Das löste nun in der Schweiz eine Debatte über die Kosten neuer Therapien aus. Für Medikamente gibt es im Alpenland zwar keine Preisgrenze. Das Bundesgericht hat 2011 aber in einem Urteil zur Übernahme des Medikaments Myozyme gegen die Muskelkrankheit Morbus Pompe die Obergrenze für ein Extra-Lebensjahr bei 100.000 Franken festgemacht. Dreizehn Lebensjahre dürften nach dieser Rechnung 1,3 Millionen Franken kosten, was deutlich unter der Preisvorstellung des Pharmakonzerns liegt.
Andere Medikamente würden bei gleichem Nutzen ähnlich viel kosten, hieß es seitens des Unternehmens. „Vier Millionen Dollar sind ein bedeutsamer Geldbetrag, aber wir glauben, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis gewahrt ist“, sagte David Lennon, Chef des Pharmakonzerns Avexis, laut der Sonntagszeitung vor Investoren. Seit Kurzem gehört Avexis zu Novartis. Deren erfolgsversprechende Gentherapie war dem Basler Pharmakonzern einen Kaufpreis von rund neun Milliarden Dollar wert. CEO Vasant Narasimhan wird in den Schweizer Medien mit dem Versprechen zitiert, dass man einen Weg finden werde, das Medikament allgemein zugänglich zu machen.
Die Betroffenen hoffen indes darauf, dass die Behandlung auch in der Schweiz zugelassen wird und die Kassen die Kosten vollständig übernehmen. „Für eine Familie ist jedes zusätzliche Lebensjahr mit dem Kind unendlich viel wert“, sagte Nicole Gusset von der Patientenorganisation für spinale Muskelatrophie dem Schweizer Nachrichtenportal 20min.ch. Die Mutter einer achtjährigen Tochter mit SMA Typ II rechnet allerdings mit einem Kräftemessen zwischen Behörden und der Pharma auf dem Rücken der Patienten, wenn der Preis tatsächlich so hoch ausfällt.
Michel Romanens, Arzt und Projektleiter beim Verein Ethik und Medizin sagte in einem Interview, dass die Kosten für die Krankenversicherungen und die Prämienzahler tragbar seien. Denn schließlich gehe es nur um eine Handvoll Fälle pro Jahr. Er forderte allerdings auch größere Transparenz in der Pharmaindustrie: „Novartis muss beispielsweise genau darlegen, wie es dazu kommt, dass ihre Behandlung vier Millionen Franken kostet und wie hoch ihre Marge ist“, sagte er.
Auch die Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle fordert in einem Bericht des Zeitung Der Bund von der Pharmaindustrie Preistransparenz. Die Gentherapie sei ein Beispiel, warum gesellschaftlich akzeptierte Schwellenwerte für medizinische Behandlungen festgelegt werden müssten. Eine öffentliche Debatte sei dringend nötig, denn die hohen Preise der neuen Krebstherapien und der personalisierten Medizin werde das Krankenversicherungssystem in den nächsten Jahren stark fordern.
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