Im Interview mit dem Magazin Netzwoche zeigt der Präsident des schweizerischen Apothekerverbands Pharmasuisse, Fabian Vaucher, wo heute die digitalen Herausforderungen der Branche liegen und wie er die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben will. Denn neben Ohnmachtsgefühlen schenke die Digitalisierung auch große Chancen, ist er überzeugt. Bei der Digitalisierung der Grundversorgung beansprucht er für Apotheken dabei eine Führungsrolle.
Lochkarten, Karteikärtchen, Apothekenscheine: Sie sind längst aus den modernen Apotheken verschwunden. Auch wenn Apotheken in der Regel nicht als Paradebeispiele für Digitalisierung gelten, seien sie relativ lange „digital unterwegs“, unterstrich Vaucher in dem Interview. So hätten Apotheken als eine der ersten ambulanten Leistungserbringer Mitte der 90-er Jahre die EDV-Systeme eingeführt.
Mit der Automatisierung von Bestellprozessen oder der Optimierung der Lagerbewirtschaftung habe die Digitalisierung auch im Logistikbereich Einzug gehalten. Auch sei der Abrechnungsprozess, der mit Apothekenscheinen und handgeführten Listen vormals sehr aufwendig gewesen sei, automatisiert worden. „Mit unseren ERP-Systemen führen wir heute Lageroptimierung, Liquiditätsplanung oder den Kontakt mit Grossisten und Versicherungen digital“, führte Vaucher aus. Inzwischen verbinde man in auswählten NetCare-Apotheken die Beratungen in der Apotheke mit dem Angebot einer Telekonsultation mit einem Arzt.
Nun gelte es, die „Primär-Systeme für den interprofessionellen Austausch“ fit zu machen, betont der Apotheker. Vor allem bei Hausärzten, Krankenhäusern und in der Pflege rechnet er mit einigen Schwierigkeiten. Denn die technischen Voraussetzungen seien bei diesen Leistungserbringern sehr unterschiedlich. Außerdem seien manche Hausärzte nach wie vor gegen die Digitalisierung. Das betreffe vor allem Einzelpraxen, die keine aktive Nachfolgesuche betreiben und daher den Aufwand scheuen würden.
Als Herausforderung bezeichnete Vaucher ferner die Einbindung des elektronischen Patientendossiers (EPD) in die Prozesse der Apotheken. „Wir sehen dieses als Digitalisierungsschritt hin zu unseren Kunden, im Sinn einer Gesundheitsakte“, wird er zitiert. In diesem Zusammenhang kritisierte der Pharmasuisse-Präsident die sogenannte doppelte Freiwilligkeit. Demnach können sowohl der Leistungserbringer als auch der Patient entscheiden, ob sie mitmachen möchten. Diese Entscheidung sollte nur dem Patienten zustehen. Wenn er ein EPD wünscht, müssten alle es anbieten.
Im Übrigen, meint Vaucher, seien Apotheke dafür prädestiniert, Gesundheitsdossiers zu eröffnen, da dort eine Beratung stattfinde und der Identifikationsprozess initiiert werden könne. Man müsse sich dort weder anmelden, Spezialisten aufsuchen oder ein Call-Center kontaktieren. So könnten Apotheken mit verschiedenen neuen Kompetenzen einen einfachen Zugang ins Gesundheitswesen bieten. „Im Rahmen der Digitalisierung der Grundversorgung wollen wir die Führung übernehmen“, kündigte Vaucher selbstbewusst an.
Aber nicht nur als eine Einrichtung des Gesundheitswesens, sondern auch als Unternehmen müssten Apotheke sich der Digitalisierung stellen, betonte er. Das gehe so weit, dass Apotheker über neue Ladenkonzepte nachdenken müssten. Die Herausforderung sei, Menschen auch in der Zukunft in die Apotheken zu locken. Dafür müsse man mit den Bestandskunden in Kontakt bleiben, um ihre Bedürfnissen zu kennen, aber auch neue Kunden erreichen. Dabei gelte es, die Apotheke digital sichtbar zu machen.
„In Bezug auf die digitale Sichtbarkeit heißt das vor allem, dass wir Leistungen auf einer Plattform anbieten wollen“, sagte Vaucher gegenüber Netzwoche. Er unterstrich die Bedeutung von Vertrauen und Sicherheit in der Interaktion mit den Patienten, die auch digital spürbar werden sollte. Insbesondere in der Kundenbetreuung denke man verschiedene Lösungen nach. So könnte man etwa jedem Kunden eine Bezugsperson für seine Anliegen anbieten, die dann beispielsweise via Tele-Coaching mit ihren spezifischen Kenntnissen dem Kunden zur Seite stehe.
Allerdings sei es für Pharmasuisse als Berufsverband nicht einfach, die eigenen Mitglieder vom Potenzial solcher Ansätze zu überzeugen, räumt er ein. Dazu müsse man Geschäftsmodelle erarbeiten, die die Chancen aufzeigen und Apotheker befähigen, in diesen Dimensionen mitzudenken und zu handeln. Wie bei den Ärzten sei Digitalisierung auch in Apotheken ein Generationenthema.
Doch wie wird eine Apotheke in nicht allzu ferner Zukunft aussehen? „Wenn wir konsequent auf den Kunden fokussieren, werden sich Apotheken voneinander deutlich unterscheiden“, meint Vaucher. Auch werde der Apotheker dank digitaler Tools schon beim Eintreten des Kunden wissen, was sein Anliegen und seine Bedürfnisse sind. Durch engmaschigere Betreuung werde der Kunde bequemer neue Produkte und Dienstleistungen entdecken und schätzen lernen. Die klassische Apotheke vor Ort werde dann durch digitale und interaktive Hilfsmittel ergänzt.
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