Das Ende der Apothekenketten Benjamin Rohrer, 10.01.2011 10:41 Uhr
In Ungarn sind seit dem 1. Januar Neugründungen von Apotheken durch Großhändler, Pharmaunternehmen und Offshore-Finanzinvestoren verboten. Fremdinvestoren, die nicht den genannten Gruppen angehören, können sich weiter an Apotheken beteiligen, allerdings müssen die Mehrheitsanteile von Apothekern gehalten werden. Für die bestehenden Ketten gibt es einen Bestandsschutz; allerdings muss bis 2014 mindestens ein Viertel der Besitzanteile pro Apotheke an einen approbierten Apotheker übertragen werden. Spätestens 2017 müssen die heutigen Kettenbetreiber die Mehrheit ihres Besitzes und die Leitung der Apotheken an Pharmazeuten abgegeben haben.
Auch Neugründungen von Apotheken werden in Zukunft stärker reguliert. In Orten mit mehr als 50.000 Einwohnern muss auf 4000 Verbraucher mindestens eine Apotheke kommen, in kleineren Orten 4500. Zur nächsten Offizin muss ein Mindestabstand von 250 Metern eingehalten werden.
Ein Apotheker darf maximal vier Filialen besitzen. Für Neugründungen benötigen Pharmazeuten in Zukunft eine Konzession, die an die Person gebunden ist und vererbt werden kann, sofern der Erbe ebenfalls Apotheker ist. Neue Konzessionen werden über öffentliche Ausschreibungen vergeben.
Auch Rabattsysteme wie etwa Rx-Boni oder Werbegeschenke sind fortan verboten. Kundenkarten sind nur erlaubt, wenn der Kunde die gesammelten Punkte für pharmazeutische Dienstleistungen wie etwa Blutdruckmessen nutzt.
Der erste Entwurf der Reform war im November bekannt geworden. Der ungarische Gesundheitsstaatssekretär, Dr. Miklós Szócska, hatte Vertreter der Apothekerverbände, der Apothekenketten sowie des Großhandels zu Verhandlungsgesprächen eingeladen. Nach diversen schriftlichen Änderungsanträgen der Grossisten und Apothekenketten verabschiedete das Parlament am 20. Dezember aber eine Version, die vom ersten Entwurf nur unwesentlich abweicht.
Bereits 2001 hatte die rechts-konservative Regierung ein fast identisches Apothekengesetz verabschiedet, welches die Mehrheitsbeteiligung von Pharmazeuten vorschrieb. Den Ketten wurde damals eine Übergangsfrist von fünf Jahren gewährt. Damaliger Regierungschef: Viktor Orbán (Fidesz Partei), unter dessen Federführung auch das neue Gesetz verabschiedet wurde.
Die Reregulierung kam jedoch nicht zustande: Kurz vor Ablauf der Übergangsfrist liberalisierte die sozialliberale Nachfolgeregierung den Apothekenmarkt. Neben Fremd- und Mehrbesitzverbot kippte die Regierung unter anderem die apothekerliche Anwesenheitspflicht sowie die Apothekenpflicht für bestimmte Wirkstoffe der Selbstmedikation. Sogar OTC-Automaten waren erlaubt worden.
Bei der ungarischen Apothekerkammer hält man die Reform für angemessen. „Sechs Jahre sind für alle Beteiligten genug Zeit, um sich auf die Neuordnung vorzubereiten“, sagte ein Sprecher. Pharmazeuten, die sich für die Übernahme oder Neugründung einer Apotheke interessieren, würden durch staatliche Fördermittel unterstützt.
Die Apothekenketten protestieren gegen die Reregulierung und wollen nun vor dem ungarischen Verfassungsgericht klagen. „Der rückwirkende Eingriff des Staates in bestehendes Eigentum ist verfassungswidrig“, sagt Karolina Korodi, Präsidentin des Kettenverbandes. Etwa ein Drittel der rund 800 ungarischen Kettenapotheken ist im Besitz der Großhändler Phoenix, Hungaropharma und Humantrade (Teva).