Am nördlichen Ende des Hafens von Tel Aviv steht eine mondäne Veranstaltungshalle. Hier feiern junge Israelis ihre Hochzeit mit Blick auf das tiefblaue Mittelmeer. An diesem sonnigen Frühjahrstag künden süßlich riechende Duftwolken von anderen Besuchern. „Letztes Jahr haben wir den Konsum auf der CannaTech-Konferenz noch verboten“, sagt Saul Kaye, Veranstalter einer zweitägigen Konferenz für medizinisches Cannabis. Dieses Mal hätten sie sich die Mühe gespart.
Cannabis kann man in der israelischen Amüsiermetropole Tel Aviv auch sonst fast an jeder Ecke riechen, es gilt als fester Bestand des Nachtlebens. Die Start-up-Nation Israel gilt aber auch als Vorreiter im Bereich des medizinischen Cannabis.
An die 800 Branchen-Vertreter trafen sich zuletzt auf der CannaTech 2018, um in die Zukunft dieses aufstrebenden Industriezweigs zu blicken. Darunter auch der Pharmariese Tikun Olam, der 20.000 Patienten in Israel mit Cannabis-Medikamenten beliefert. 2018 will der Konzern auf den europäischen Markt expandieren, viele weitere Firmen wollen folgen. Auch Deutschland gilt als attraktives Ziel.
Doch die Gesetzeslage in Israel hat einen Schatten auf die Pläne der Industrie geworfen. Trotz der Ankündigung, die Ausfuhrbestimmungen für medizinisches Cannabis ändern zu wollen, hat Israels Regierung die Gesetzgebung im Februar auf Eis gelegt. Nach Medienberichten hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf die Bremse getreten, aus Sorge den US-Präsidenten Donald Trump zu verärgern – weil dieser gegen eine Legalisierung von Cannabis sei.
Justizministerin Ayelet Shaked reagierte mit Unverständnis: „Wir dürfen den Zug nicht verpassen. Heute sind wir die Lokomotive, wenn wir zögern, werden wir zu Waggons“, twitterte Shaked nach dem Besuch einer Cannabis-Plantage im Norden des Landes. Medizinische Cannabis-Produkte im Wert von bis zu einer Milliarde US-Dollar (mehr als 800 Millionen Euro) könne die israelische Industrie exportieren, schrieb die Ministerin.
Branchen-Vertreter bemühen sich um Gelassenheit. „Noch in diesem Jahr werden wir die Erlaubnis bekommen, unsere Produkte zu exportieren“, versichert Kaye. Die Verzögerung durch die Regierung sei nur ein kleines Hindernis auf dem Weg. Seinen Ärger kann Kaye trotzdem kaum verbergen. „Es ist eine Schande. Die Regierung lässt sich hier eine riesige Chance entgehen“, sagt Kaye.
Zwischen 250 und 300 Millionen Dollar (200 bis 240 Millionen Euro) setzten israelische Firmen wie Tikun Olam im vergangenen Jahr mit medizinischem Cannabis um. Kaye sieht ein Milliardengeschäft auf die israelische Industrie und den Staat zukommen: „Wie damals in den Dotcom-Zeiten.“ (Dotcom steht für Technologieunternehmen mit der Internet-Domain-Abkürzung „.com“) Und wenn der Export weiterhin verboten bleibt? „Dann arbeiten wir im Ausland weiter“, sagt Kaye.
Die meisten der israelischen Firmen beschäftigten sich mit Forschung und Entwicklung von Cannabis-Medikamenten. Und deren Produkte könnten auch im Ausland produziert werden, sagt Kaye. In Israel würden dann weniger Arbeitsplätze entstehen und Steuereinnahmen wegfallen.
Rund 30.000 Menschen in Israel besitzen laut Gesundheitsministerium die Erlaubnis, medizinisches Cannabis zur Linderung ihrer Leiden zu konsumieren. Unter ihnen sind auch Holocaust-Überlebende. Das Marihuana soll die Folgen ihrer traumatischen Erlebnisse lindern. In Deutschland ist es seit März 2017 möglich, Cannabis auf Rezept zu beziehen.
Die Verzögerung bei der Gesetzgebung löst aber nicht nur bei den Pharma- und Agrarkonzernen auf der CannaTech Kopfschütteln aus. Auch Vertreter der Kibbuz-Bewegung verzweifeln derzeit an ihrer Regierung. Die basisdemokratischen Landwirtschaftsgenossenschaften setzen große Hoffnungen in medizinisches Cannabis. Seit der Wirtschaftskrise in den 1980er Jahren haben die Kibbuzim mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Etwa 110.000 Menschen leben nach Angaben der Bewegung in 273 Kibbuzim, weniger als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Der erste Kibbuz wurde 1910 am See Genezareth gegründet. Die Siedlung gilt als Ursprung dieser basisdemokratischen Gemeinschaft.
Ihre Chance sehen die Vertreter der Bewegung im Bereich der Landwirtschaftstechnologie. „Im Kibbuz hat sich viel Erfahrung in fast allen Bereichen des Anbaus und der Verarbeitung von Pflanzen angesammelt“, erklärt Sharon Schulleiter, ein Experte für die Kibbuz-Bewegung. Die Genossenschaften müssten nur entscheiden, was am besten zu ihnen passt. Das meint auch Nira Dgani, eine Anwältin die die Kibbuz-Bewegung berät: „Aber im Moment warten wir darauf, dass die Regierung entscheidet, was sie will.“
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