Ein Schweizer Apotheken-Lehrling soll zahlreiche Medikamente und Wirkstoffe wie Morphin, Ritalin, Kokain und Viagra aus seiner Ausbildungsapotheke gestohlen haben. Deshalb droht nicht nur ihm ein Prozess. Auch seine Ausbilderin stand vor dem Bezirksgericht Rheinfelden. Der Vorwurf: Die Apothekerin soll ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben.
Weil ein Lehrling aus einer Apotheke im Fricktal 2014 ein halbes Jahr lang Medikamente gestohlen hatte, stand seine Chefin und Apothekeninhaberin vor dem Bezirksgericht in Rheinfelden. Laut Anklageschrift, die der Aargauer Zeitung vorliegt, hatte der Mann Produkte mit einem Gesamtwert von 11.000 Franken (rund 9000 Euro) gestohlen. Wegen Verdachts auf Verletzung der Sorgfaltspflichten hatte die Staatsanwaltschaft demnach zunächst die Apothekerin per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe von 150.000 Franken sowie einem Bußgeld von 7000 Franken verurteilt.
Die Pharmazeutin soll die vorgeschriebene Betäubungsmittelkontrolle mangelhaft geführt haben. Sie unterließ es laut Bericht, Ein- und Ausgang von Medikamenten, die dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt sind, zu kontrollieren. Vielmehr habe sie „weitgehende Kontrollkompetenzen“ an den Lehrling übertragen, was dieser „mittels arglistiger Vorgehensweise“ ausnutzte, um Medikamente zu stehlen.
Dagegen wehrte sich die Apothekerin. Sie habe den Lehrling weder selber eingestellt, noch betreut, heißt es weiter. In jener Zeit habe sie ihr Geschäft als Apotheke und Drogerie geführt. Die verantwortliche Drogistin habe unbedingt einen Lehrling einstellen wollen. „Sie war zuständig für ihn, die Mitarbeiterbetreuung lag bei ihr“, sagte sie vor dem Bezirksgericht Rheinfelden laut Bericht aus. Die Apothekerin habe angeordnet, dass die Betäubungsmittelkontrolle immer zu zweit gemacht werden müsse. Mit der Aufgabe habe sie eine Angestellte der Apotheke und den Lehrling betraut. Sie sollten diese gemeinsam erledigen, „damit sie sich gegenseitig kontrollieren“.
Dies war den Mitarbeitern aber offenbar nicht klar. Die ehemalige Angestellte soll vor Gericht ausgesagt haben, sie sei davon ausgegangen, dass die Verantwortung bei beiden liege, sie sich aber abwechseln könnten. Dennoch habe der Auszubildende die Betäubungsmittelkontrolle nie alleine durchgeführt.
Beim Diebstahl soll der Täter nach Zeugenaussagen dem Bericht zufolge raffiniert vorgegangen sein. So soll er Medikamente bestellt und die Bestellung im Computer gleich wieder gelöscht haben. Die Lieferungen habe er persönlich entgegengenommen und die Lieferscheine gleich entsorgt. „Er hat alle getäuscht, wenn wir die Statistik beim Lieferanten nicht angefordert hätten, wäre es wohl nie ausgekommen,“ wird eine Angestellte der Apotheke im Zeitungsbericht zitiert.
Der junge Mann soll ein schwieriger Lehrling gewesen sein. Dem Bericht nach begann er im Jahr 2011 seine Lehre in einer Apotheke im Fricktal. „Er war schlecht in der Schule, wir haben ihn deshalb mit Nachhilfe unterstützt“, sagte sie. Doch trotz der Unterstützung hat er die Lehrabschlussprüfung nicht bestanden. Die Inhaberin der Apotheke beschäftigte ihn weiter, damit er die Prüfung wiederholen konnte.
Der Lehrling soll schon im Jahr 2014 Altmedikamente gestohlen haben. Im selben Jahr wurden aus der Apotheke knapp zehn Gramm Kokain entwendet. Der junge Mann soll laut Bericht einen Restbestand aus dem Tresor der Apotheke gestohlen und weitere fünf Gramm bei einem Lieferanten bestellt haben. Verdacht schöpften Mitarbeiter und die Apothekerin erst, als sie im Lager leere Medikamentenschachteln entdeckten, die hätten voll sein müssen, berichtet die Zeitung. Zudem fanden sie einen Lieferschein, auf dem Medikamente und Betäubungsmittel aufgeführt waren. Doch nur die Medikamente waren tatsächlich auf Lager. Als die Täuschung und der Diebstahl aufflogen, wurde der Lehrling fristlos entlassen.
Der Verteidiger der Apothekerin betonte laut Bericht vor Gericht, dass es keine Vorschrift gebe, die die persönliche Kontrolle durch die Apothekeninhaberin vorschreibe. Sie habe nichts von den Manipulationen gewusst und könne nicht dafür belangt werden. Zudem sei im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft gar nicht klar ausgeführt, welche Sorgfaltspflichten die Apothekerin denn verletzt habe.
Das Gericht schloss sich dieser Argumentation weitgehend an und sprach die Apothekerin frei. Diese habe ihrem Azubi wohl zu sehr vertraut, aber keine juristische Grenze überschritten, die eine Strafe rechtfertigen würde. „Als gute Lehrmeisterin hat sie sich um den Lehrling gekümmert, es gab wohl Hinweise, aber keine Zeichen, dass bei ihr sämtliche Alarmglocken hätten schrillen müssen“, wird die Richterin zitiert. Der Lehrling selbst muss sich bald für seine Taten vor Gericht verantworten.
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