Kein Alter Ego für Nurofen Maria Hendrischke, 16.12.2015 12:20 Uhr
Kunden mit Zahnschmerzen wollen Zahnschmerztabletten; wer Regelschmerzen hat, will keinen „Fiebersaft“. Dass in Pfeil, Tispol und Nurofen ein- und derselbe Wirkstoff enthalten ist, spielt dabei keine Rolle. So ist die Versuchung für die Hersteller groß, ihr Produkt in verschiedenen Varianten gezielt zur Behandlung bestimmter Probleme zu vermarkten. In Australien ist ein solches Geschäftsmodell jetzt Reckitt Benckiser (RB) auf die Füße gefallen.
RB hat in Australien unter der Marke Nurofen unterschiedliche Indikationen aufgegriffen und vermarktet die Produkte gezielt gegen Migräne, Spannungskopfschmerzen, Menstruationsprobleme oder Rückenschmerzen. Doch alle Varianten sind in der Zusammensetzung identisch: Sie enthalten je 342 Milligramm Ibuprofen, genauso wie die klassische Version ohne spezifisch ausgewiesene Wirkung.
Als frei verkäufliche Arzneimittel werden die Produkte mittlerweile auch im Supermarkt angeboten; die Verpackungen unterscheiden sich je nach Variante in der Farbe und Aufschrift. Auf den Schachteln wird die Wirkung gegen eine bestimmte Schmerzart herausgestellt. Zudem steht auf den Packungen: „schnelle, gezielte Schmerzlinderung“. Die gegen bestimmte Schmerzarten angebotenen Mittel sind fast doppelt so teuer wie Standardversion.
Die australische Wettbewerbs- und Verbraucherkommission (ACCC) hatte gegen RB geklagt. Die Produktaufmachung lege nahe, dass RB die Nurofen-Präparate speziell für die auf der Verpackung aufgedruckten Schmerzart entwickelt habe und damit ausschließlich der aufgeführte Schmerz bekämpft werde. Damit würden Kunden getäuscht, so ACCC.
Der Fall landete vor dem Bundesgericht in Sydney. In der Urteilsbegründung heißt es: „Keines der vier Produkte ist mehr oder weniger effektiv als die anderen in der Behandlung eines der aufgeführten Symptome.“ Innerhalb von drei Monaten muss RB daher nun alle vier Tabletten vom Markt nehmen. Zudem muss der Konzern auf seiner Webseite eine Richtigstellung veröffentlichen. Über eine zusätzliche Geldstrafe soll laut Nachrichtenagentur Reuters noch verhandelt werden.
Eine Konzernsprecherin sagte, man habe Verbrauchern helfen wollen, sich besser im Sortiment zurechtzufinden. Das gelte insbesondere in Supermärkten, in denen kein Apotheker bei der Auswahl behilflich sein könne. Der Konzern verweist auf Marktforschungsdaten, nach denen 71 Prozent der Verbraucher die Angabe möglichst konkreter Anwendungsgebiete begrüßen.
Nurofen wird seit den 1980er Jahren in australischen Apotheken verkauft. Seit etwa zehn Jahren ist das Präparat auch in Supermärkten erhältlich. Die jetzt verbotenen Varianten machen laut Konzern 5 Prozent des Nurofen-Umsatzes in Australien aus; der Rest entfällt auf Kapseln und Weichkapseln, Grippemittel, Fiebersaft sowie Pflaster und Gel.
In Deutschland wird Nurofen als Tablette, Weichkapsel, Zäpfchen, Fiebersaft, Kühlstick und Schmelztablette vertrieben. Unterschiedliche Varianten mit ein- und denselben Wirkstoff gibt es dagegen beispielsweise von Johnson & Johnson (J&J): Dolormin extra ist dasselbe wie Dolormin Migräne; den Wirkstoff Naproxen vermarktet der Hersteller einerseits gegen Menstruationsbeschwerden, andererseits gegen Gelenkschmerzen.
+++ APOTHEKE ADHOC Umfrage +++
Erfundene Spezial-Schmerzmittel: Was meinen Sie? Jetzt abstimmen! »